Schlagwort: St.-Pauli

Sechstes Kapitel: St. Pauli

Zwölf Herren trafen sich am 8. März 1843 im Landhaus an der Heerstraße und gründeten den St. Pauli Bürgerverein. Der 33-jährige Kaufmann Matthias Mahlandt wurde der erste Präses.

Da alle Protokolle dieser Zeit erhalten sind, lassen sich die ersten Beratungsgegenstände berichten:

  • eine zeitgemäße Verbesserung des Vormundschaftswesens in St. Pauli
  • die schlechte Beleuchtung der Gegend vor dem Millerntor und Dammtor
  • die Anlegung eines neuen Tores zwischen diesen beiden Stadtzugängen
  • die Verbesserung des Grenzgrabens zwischen Altona und St. Pauli
  • die Beratung von Suppliken betreffs des Baugesetzes und der Grundsteuer

Vergnügungen in der Vorstadt St. Pauli um 1832, Bildnis von Peter Suhr

Der junge Verein hatte Probleme mit der geringen Beteiligung seiner Mitglieder. So musste die „Vereinsdirektion“ die Mitglieder immer wieder ermahnen von der Schweigsamkeit Abstand zu nehmen. Versammlungen waren ungenügend besucht und mussten zum Teil ausfallen. Wahrscheinlich war bürgerliche Mitwirkung gewöhnungsbedürftig. Auch in den Ämtern des Vereinsvorstandes gab es ständige Veränderungen, in den ersten 15 Jahren des Vereinsbestehens gab es 13 Präsides.

Doch bald besserte sich diese Einstellung, die Mitgliederzahl stieg bis Ende 1848 auf 162 und der Verein begann eine vielfältige Beteiligung an kommunalen Fragen. Er unterstützte die gerade errichtete Warteschule und beteiligte sich insbesondere an der Verwaltung, beschäftigte sich mit dem Armenwesen, der Anstellung eines zweiten Predigers, Verbesserungen bei der Grundsteuer und der Verbesserung der Wege vor den Toren. Mit einer Schillingsammlung unterstützte er den Turmbau von St. Nikolai.

Und schließlich brachte das Jahr 1848 die Chance, sich am Aufbau der deutschen Flotte zu beteiligen, um Deutschland gegen Dänemark zu verteidigen. 600 Mark Courant gab die Vereinskasse, Sammlungen erbrachten die insgesamt nötigen 12000 Mark Courant – und nach nur wenigen Wochen hatte der Schiffsbauer Marbs am Pinnasberg „in fliegender Hast“ ein Kanonenboot mit 32 Riemen und zwei Geschützen fertiggestellt. Unter der Führung von Kapitän Sohst ruderten 60 St. Paulianer nach Hamburg und Altona, um es den verbündeten englischen und holländischen Schiffen zu präsentieren.

Das Kanonenboot „St. Pauli“. Holzschnitt in der Zeitschrift „Reform“ 1848

Das Kanonenboot „St. Pauli“. Modell im Museum für Hamburgische Geschichte

In der Vorstadt St. Pauli stellte sich beispielgebend unter Beweis, dass bürgerliche Mitverantwortung praktisches Engagement bedeutet.

Der Spielbudenplatz auf St. Pauli um 1850, Stahlstich von Heinrich Jessen

Matthias Mahlandt blieb nicht die einzige Persönlichkeit, die aus St. Pauli für ganz Hamburg Zeichen setzte. Über ihn und seine Vereinskollegen Billerbeck, Dr. Versmann, Scholvin, Schröder und Rüter lesen Sie im 15. Kapitel unserer Dokumentation. Dr. Versmann ist so bedeutend, dass er ein eigenes Kapitel verdient. Und Präses Mahlandt schließlich findet noch einmal in der Darstellung des Hamburger Bürgermilitärs Erwähnung.

Den St. Pauli Bürgerverein gibt es noch heute. Allerdings ging mit dem plötzlichen Tod des umtriebigen und allseits präsenten „Vereins-Entertainers“ Harry H. Oest 1997 langsam auch die vorbildlich-aktive Zeit dieses Bürgervereins zu Ende. Das Andenken an Harry H. Oest hat in dieser Dokumentation ein eigenes Kapitel.

 

Autor: Michael Weidmann

Ein sehr seltenes Motiv ist dieses Gemälde von A. Köster, das die erste deutsche Flotte anno 1848 zeigt. Für eigentliche Kriegsschiffe reichte das Geld nicht, so dass unter fachmännischer Leitung und Führung einige Kauffahrer gekauft und ausgerüstet wurden.

Von links nach rechts sind unter Dampf und Segeln zu sehen: der Dampfer Hamburg, die Corvette Franklin, der Dampfer Lübeck, die Fregatte Deutschland und der Dampfer Bremen. Im Vordergrund rudert wie wild das Kanonenboot St. Pauli.

Viertes Kapitel: Hamburg und St. Pauli in der Gründungszeit der Bürgervereine

Bürgervereine gründeten sich in Hamburg seit 1843. Es macht Sinn sich die damalige Zeit, die politischen Umstände und die Lebensverhältnisse der Menschen vor Augen zu führen.

Richten wir den Blick nach St. Pauli, wo der erste Hamburger Bürgerverein gegründet wurde. St. Pauli war kein gleichberechtigter Teil Hamburgs, sondern Vorstadt unter dem Patronat eines Hamburger Senators („wohlweiser Landherr“). Der gültige Flurname der Gegend lautete „Hamburger Berg“. Aus Sicht der hamburgischen Festungskannoniere war dies militärisches Vorland und hatte freies Schussfeld zu bleiben, weshalb Häusergruppen nur am Elbufer und an der Grenze zu Altona (Nobistor) erlaubt waren.

Anfang des 19. Jahrhunderts war Hamburg von Napoleons Truppen besetzt und St. Pauli war eine französisch verwaltete Kommune. Um freies Schussfeld zu haben, ließen die Franzosen im Westen der Stadt 841 Häuser, 108 Werkstätten und Fabriken und viele Säle und Buden zerstören. Schließlich wurde die gesamte Vorstadt auf französischen Befehl niedergebrannt und sogar der Pesthof evakuiert. Ausführlich ist diese Geschichte dargestellt unter „Hintergründe“: Vertreibt die Franzosen!

Wir wissen, es gelang Bennigsen die Franzosen aus Hamburg zu vertreiben. Napoleon wurde 1815 nach seiner Rückkehr von Elba bei Waterloo von Wellington und Blücher endgültig geschlagen. Die wieder freie Stadt Hamburg atmete auf und regenerierte sich nach der Besatzung – bis 1842 der Hamburger Brand als nächster Schicksalsschlag die Hamburger heimsuchte. Große Teile der Innenstadt zwischen der Deichstraße und „Brandsende“ wurden vollkommen zerstört. Das Alte Rathaus musste gesprengt werden, um das Feuer aufzuhalten. 20.000 Menschen wurden obdachlos. Viele fanden in den Vorstädten wie St. Pauli eine neue Heimat. Die Geschichte des Hamburger Brandes lesen Sie unter „Hintergründe“: Hamburg brennt!

Aussicht von der Elbhöhe (Stintfang) über die Vorstadt St. Pauli und Altona, nach der Natur gezeichnet von C. A. Lill, Stahlstich von Joh. Poppel

Nach der Katastrophe machte sich die gesamte Gesellschaft an den Wiederaufbau. Aber neben den vielen positiven Kräften wurde auch Widerstand und Kritik gegen den obrigkeitlich regierenden Senat laut. Auch die St.-Paulianer wünschten sich ausreichende Wasserleitungen und moderne Feuerspritzen.

Seit 1833 hieß die Gegend um den Hamburgerberg „St. Pauli Vorstadt“. Die dort lebenden „reglementsmäßig erbgesessenen Stadtbürger“ durften an den Sitzungen der Erbgesessenen Bürgerschaft in Hamburg teilnehmen, hatten aber im Übrigen kaum Rechte. Dagegen hatten sie seit 1836 die Pflicht im Bürgermilitär zu dienen, wofür 1837 ein neues (achtes) Bataillon für St. Pauli organisiert wurde. Für St. Pauli wurde nach dem Brand die Grundsteuer weitaus stärker angehoben, als z. B. für die andere Vorstadt St. Georg und die innere Stadt. Und schließlich wurden die St. Paulianer 1838 mit einer Nachtwachensteuer zusätzlich belastet.

In dieser Situation also gründete sich der erste Hamburger Bürgerverein.

 

Autor: Michael Weidmann