Schlagwort: Zentralausschusses Hamburgischer Bürgervereine

Vierzehntes Kapitel: Der Weg zur neuen Verfassung

Zunächst neun, dann acht demokratische Vereine spielten eine hervorragende Rolle auf dem Weg von der Erbgesessenen Bürgerschaft zur neuen Verfassung. Unter diesen waren der Hamburger Bürgerverein und der St. Pauli Bürgerverein. Im Februar 1848 ersuchte ein Komitee von 334 Bürgern den Senat, bei der Bürgerschaft auf Einsetzung einer Deputation zur Reform der Verfassung zu drängen. Der Senat stimmte zu und legte Reformpunkte vor.

Aber inzwischen führten Nachrichten aus Paris, Köln, Württemberg und Baden zu Tumulten in unserer Stadt und in besonderer Weise in der Vorstadt St. Pauli. Am Millerntor wurden die Sperrbeamten und Schildwachen vertrieben, es gab durch den Einsatz der Garnison viele Verwundete und durch einen Bajonettstich kam der Maurergeselle Benecke zu Tode. Die St. Pauli-Bürgergarde verlangte die Entfernung des Militärs und die Versammlung des St. Pauli Bürgervereins beschloss die Bildung einer bürgerlichen Sicherheitswache. Das Bürgermilitär hielt sich für die ausschlaggebende Macht in Hamburg und begleitete viele Versammlungen, zum Beispiel als die Vereine am 17. August 1848 den Senat um Einsetzung einer konstituierenden Versammlung ersuchten.

Neben dem „Tagwächter“ gründete sich mit Unterstützung des St. Pauli Bürgervereins die Zeitung „Reform“ als Communal- und Bürgerblatt. Hier war zu lesen, welche Reformen zur Diskussion kamen und wie die Interessen des wahren Bürgertums zu vertreten seien – zunächst in St. Pauli, dann ausgedehnt auf ganz Hamburg und Altona.

Man beschäftigte sich mit den Kandidatenwahlen für das Parlament in Frankfurt und entsandte die Herren W. Marr und Dr. Trittau als Deputierte. In Rendsburg vertraten die Herren Dr. Gallois und B. Heitmann Hamburgs Bürgerinteressen, insbesondere als bekannt wurde, dass die Gewehre der Hamburger Garnison unbrauchbar wären. An diese Stelle gehört auch die Beschäftigung mit dem Bau der Deutschen Flotte, die zur Stiftung des Kanonenbootes „St. Pauli“ führte (siehe dazu das 6. Kapitel: St. Pauli). Weitere Unterstützung brachten die neugegründeten Bürgervereine vor dem Dammtor (siehe dazu das 8. Kapitel: Vor dem Dammtor) und in der Vorstadt St. Georg.

Am 25. Februar 1849 veranstalteten die demokratischen Vereine im Circus Gymnasticus eine Feier der Grundrechte des deutschen Volkes, woran auch die Mitglieder der inzwischen gebildeten Konstituante teilnahmen. Es sprachen die Herren Glitza, Dr. Rée und Dr. Gallois und zum Ende hin sang man gemeinsam die Marseillaise. Allerdings geriet die Begeisterung zu Reformen in den demokratischen Vereinen, auch in den Bürgervereinen ins Stocken, weil die Vorschläge der Konstituante nicht zur Umsetzung kamen. So blieb in Hamburg auch die Beteiligung an der Wahl zum Staatenparlament in Erfurt kaum nennenswert. Der Patriotische Verein und der Deutsche Club lösten sich sogar auf.

Am 28. Januar 1851 wurde Hamburg von österreichischen Truppen besetzt, die nach den Franzosen als zweite Fremdherrschaft betrachtet wurden. Sieben dieser Soldaten vergriffen sich am Vorstandsmitglied des Hamburger Bürgervereins W. Marr, was eine ganze Folge von Aufrufen und Versammlungen einerseits, dagegen polizeiliche Verbote und obrigkeitliche Überwachungen andererseits nach sich zog. Erneut reduzierten sich die Vereinsaktivitäten auf gesellige und freundschaftliche Unterhaltungen. In dieser Zeit gründete der Bürgerverein vor dem Dammtor eine Warteschule und der Hamburger Bürgerverein ein Warenmagazin zur Beschaffung billiger Lebensbedürfnisse. In der Dorfschaft Barmbeck (1848 und 1859) und in Hohenfelde (1848 und 1852) gründeten sich weitere Bürgervereine.

Autor: Michael Weidmann

Vorsitzender Pastor OTTO SCHOOST

Otto Wilhelm Theodor Schoost, geboren am 22. Juli 1839 in Hamburg, gestorben am 14. März 1907, wurde am 9. Mai 1869 ordiniert. Er war dann Pastor zu St. Johannis in Neuengamme und seit 1871 Diakonus zu St. Katharinen in Hamburg. Aus seiner Feder stammen die Bücher „Vierlanden – Beschreibung des Landes und seiner Sitten“ (1894) und „Das Kugel-Denkmal – Seine Bedeutung, Entstehung und Vollendung nebst den auf den Feiern der Grundsteinlegung und Enthüllung bezüglichen Documenten“ (1878).

Pastor Otto Schoost wurde am 7. Juni 1886 bei der konstituierenden Sitzung des Zentralausschusses Hamburgischer Bürgervereine mit den Herren Felten und Dr. Erdmann provisorischer Vorstand und dann am 5. Juli 1886 bei der endgültigen Vorstandswahl Erster Vorsitzender des Verbandes. Seine Amtszeit dauerte vier Jahre bis 1890.

In der Amtszeit von Pastor Otto Schoost beschloss der Zentralausschuss eine dringende Eingabe an den Senat wegen des schlechten Trinkwassers. Der Verband betrieb erfolgreich die Errichtung weiterer Standesämter, vor allem in den Vororten (eingerichtet wurden daraufhin weitere elf zu den bereits bestehenden zwölf). Selbstständig gründete der Zentralausschuss ein Asyl für Obdachlose und Sanitätswachen. Er erreichte die Kostenfreiheit des Bürgerrechts und kämpfte gegen Übelstände im Straßenbahnbetrieb.

Pastor Schoost persönlich wurde bekannt als emsiger Förderer von Knaben- und Mädchenhorten in Hamburg. Er stand für soziales Engagement und aktive Mithilfe bei der Versorgung von besonders bedürftigen Hamburgern.

 

Autor: Michael Weidmann


Haben Sie weitere Erinnerungen an Pastor Otto Schoost oder Dokumente seines Wirkens? Dann freuen wir uns, wenn Sie sich mit uns in Verbindung setzen und uns diese zur Verfügung stellen mögen.

Vorsitzender GUSTAV REINHOLD RICHTER

Gustav Reinhold Richter, geboren am 10. Oktober 1817 in der Oberlausitz, gestorben am 22. September 1903 in Hamburg, war Sohn eines Predigers, musste aber wegen der großen Zahl von Geschwistern ein Handwerk erlernen. So wurde er Tischler, durchwanderte als Geselle fast ganz Deutschland und ließ sich 1848 als Tischlermeister in Hamburg nieder. Hier förderte er nicht zuletzt 1865 bis 1868 als Mitglied der Verwaltung der Allgemeinen Gewerbeschule und der Schule für Handwerker, 1872 bis 1880 als Schulpfleger sowie 1881 bis 1901 als Mitglied der Schulbehörde den Nachwuchs seines Berufsstandes.

1860 bis 1866 und erneut 1877 bis 1880 war Gustav Reinhold Richter Vorsitzender des Bildungsvereins für Arbeiter. Zudem war er Mitbegründer und erster Vorsitzender der Neuen Gesellschaft zur Verteilung von Lebensbedürfnissen von 1856. Viele weitere Ehrenämter prägten sein engagiertes Leben: So war er 1863 bis 1867 Steuerschätzungsbürger, 1870 bis 1875 Mitglied der Wahlkommission für die Geschworenen, 1877 bis 1881 Mitglied der Wahlkommission für die allgemeinen Wahlen bzw. der Zentralwahlkommission, 1883 bis 1900 Mitglied der Friedhofsdeputation und 1888 und 1889 Mitglied der Behörde für Zwangserziehung.

Gustav Reinhold Richter gehörte seit 1848 (dem Jahr seiner Ankunft in Hamburg) als Ersatzmann der Konstituierenden Versammlung an und wurde 1949 in diese einberufen. Er wurde 1859 Mitglied der neugewählten Hamburgischen Bürgerschaft und blieb bis 1901 in diesem Amt, auch als Mitglied des Bürgerausschusses und in neun Jahren als zweiter Vizepräsident. 1895 und 1898 hatte Gustav Reinhold Richter als Alterspräsident der Bürgerschaft die Sitzungen nach den Neuwahlen zu eröffnen. 1867 bis 1870 vertrat er Hamburg im Reichstag des Norddeutschen Bundes und im Zollparlament. 1882 bis 1884 setzte er die Reichstagsarbeit für den schleswig-holsteinischen Wahlkreis Tondern, Husum, Eiderstedt, Friedrichstadt fort. Gustav Reinhold Richter war Mitglied der Fortschrittspartei (gegründet 1861).

Am 5. Juli 1886 wählte die Versammlung des Zentralausschusses Hamburgischer Bürgervereine bei ihrer ersten Vorstandswahl Gustav Reinhold Richter zum Stellvertretenden Vorsitzenden. 1890 löste er dann Pastor Otto Schoost im Amt der Ersten Vorsitzenden ab. Seine Amtszeit dauerte fünf Jahre bis 1895. Anschließend ernannte ihn der Zentralausschuss zu seinem Ehrenmitglied.

In die Amtszeit von Gustav Reinhold Richter fällt die Zeit der Cholera in Hamburg, die in dieser Dokumentation noch ausführlich beschrieben wird.

Die Quellen beschreiben Gustav Reinhold Richter als unermüdlichen Freiheitskämpfer und scharfen Parteimann, der bei lauterer Gesinnung seine politische Überzeugung in energischer Weise vertrat. Durch seine persönliche Liebenswürdigkeit war jedoch er auch bei seinen politischen Gegnern hochgeachtet und beliebt. Mit der Abgeklärtheit seines zuletzt hohen Alters konnte er, trotz schwacher Stimme, jede Versammlung – im Parlament wie im Verband – ausgezeichnet leiten.

Lässt man diese Vorstellung auf sich wirken, so ist aus der Übersicht über die Verbandsgeschichte festzustellen: 100 Jahre später wird mit Jürgen W. Scheutzow eine ähnliche Persönlichkeit die Geschicke der Bürgervereine bestimmen.

Autor: Michael Weidmann


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