Viertes Kapitel: Hamburg und St. Pauli in der Gründungszeit der Bürgervereine

Bürgervereine gründeten sich in Hamburg seit 1843. Es macht Sinn sich die damalige Zeit, die politischen Umstände und die Lebensverhältnisse der Menschen vor Augen zu führen.

Richten wir den Blick nach St. Pauli, wo der erste Hamburger Bürgerverein gegründet wurde. St. Pauli war kein gleichberechtigter Teil Hamburgs, sondern Vorstadt unter dem Patronat eines Hamburger Senators („wohlweiser Landherr“). Der gültige Flurname der Gegend lautete „Hamburger Berg“. Aus Sicht der hamburgischen Festungskannoniere war dies militärisches Vorland und hatte freies Schussfeld zu bleiben, weshalb Häusergruppen nur am Elbufer und an der Grenze zu Altona (Nobistor) erlaubt waren.

Anfang des 19. Jahrhunderts war Hamburg von Napoleons Truppen besetzt und St. Pauli war eine französisch verwaltete Kommune. Um freies Schussfeld zu haben, ließen die Franzosen im Westen der Stadt 841 Häuser, 108 Werkstätten und Fabriken und viele Säle und Buden zerstören. Schließlich wurde die gesamte Vorstadt auf französischen Befehl niedergebrannt und sogar der Pesthof evakuiert. Ausführlich ist diese Geschichte dargestellt unter „Hintergründe“: Vertreibt die Franzosen!

Wir wissen, es gelang Bennigsen die Franzosen aus Hamburg zu vertreiben. Napoleon wurde 1815 nach seiner Rückkehr von Elba bei Waterloo von Wellington und Blücher endgültig geschlagen. Die wieder freie Stadt Hamburg atmete auf und regenerierte sich nach der Besatzung – bis 1842 der Hamburger Brand als nächster Schicksalsschlag die Hamburger heimsuchte. Große Teile der Innenstadt zwischen der Deichstraße und „Brandsende“ wurden vollkommen zerstört. Das Alte Rathaus musste gesprengt werden, um das Feuer aufzuhalten. 20.000 Menschen wurden obdachlos. Viele fanden in den Vorstädten wie St. Pauli eine neue Heimat. Die Geschichte des Hamburger Brandes lesen Sie unter „Hintergründe“: Hamburg brennt!

Aussicht von der Elbhöhe (Stintfang) über die Vorstadt St. Pauli und Altona, nach der Natur gezeichnet von C. A. Lill, Stahlstich von Joh. Poppel

Nach der Katastrophe machte sich die gesamte Gesellschaft an den Wiederaufbau. Aber neben den vielen positiven Kräften wurde auch Widerstand und Kritik gegen den obrigkeitlich regierenden Senat laut. Auch die St.-Paulianer wünschten sich ausreichende Wasserleitungen und moderne Feuerspritzen.

Seit 1833 hieß die Gegend um den Hamburgerberg „St. Pauli Vorstadt“. Die dort lebenden „reglementsmäßig erbgesessenen Stadtbürger“ durften an den Sitzungen der Erbgesessenen Bürgerschaft in Hamburg teilnehmen, hatten aber im Übrigen kaum Rechte. Dagegen hatten sie seit 1836 die Pflicht im Bürgermilitär zu dienen, wofür 1837 ein neues (achtes) Bataillon für St. Pauli organisiert wurde. Für St. Pauli wurde nach dem Brand die Grundsteuer weitaus stärker angehoben, als z. B. für die andere Vorstadt St. Georg und die innere Stadt. Und schließlich wurden die St. Paulianer 1838 mit einer Nachtwachensteuer zusätzlich belastet.

In dieser Situation also gründete sich der erste Hamburger Bürgerverein.

 

Autor: Michael Weidmann