Zwölftes Kapitel: Der erste innerstädtische Bürgerverein

In der Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, welches der erste politische Verein in unserer Stadt gewesen ist. Beschränkt man sich aber auf die damaligen Stadtgrenzen und lässt man partikularische politische Bestrebungen innerhalb älterer Vereine (wie die vaterstädtische Sektion in der Patriotischen Gesellschaft seit Ende 1847) und berufsständische Vereine (wie den Juristen-Verein aus dem Sommer 1846) außer Acht, so ist jedenfalls der Verein der Nichtgrundeigentümer der älteste und für fast alle Hamburger zugängliche Bürgerverein. Er sollte ein Gegengewicht zu den Grundeigentümern darstellen, die nicht zuletzt die Erbgesessene Bürgerschaft besetzten, und eine politische Gleichstellung herbeiführen.

Dr. Johann Gustav Gallois, der es in seiner Vaterstadt Hamburg bereits als Strafverteidiger zu einigem Ansehen gebracht hatte, verfasste und publizierte am 30. Januar 1846 in der Zeitung „Tagwächter“ die Statuten dieses Vereins, der fünf Tage zuvor in der Poolstraße 11 neben der Judensynagoge gegründet worden war. Der Satzungszweck lautete: „Der Verein soll denjenigen Bürgern, welchen unsere Verfassung die Mitwirkung an der Regierung untersagt, Gelegenheit geben, sich über vaterstädtische Angelegenheiten zu unterrichten, die Fehler unseres Regiments, die Gesetzesübertretungen, sowie die Berechtigungen jedes hamburgischen Bürgers möglichst genau kennen zu lernen, endlich aber auch durch festes Zusammenhalten desto sicherer und zweckmäßiger vorkommenden Falles die Rechte der Bürger auf gesetzmäßigem Wege zu schützen“. Keine Frage, der erste Bürgerverein innerhalb der alten Hamburger Grenzen war geboren.

Mitglied werden konnte jeder Hamburger Bürger, der nicht Grundeigentümer oder Beamter war. Das Vereinsorgan blieb der „Tagwächter“, der seit 1843 wöchentlich in Meyers Zeitungsladen am Neß 1 erschien. Der neue Verein tagte im Apollosaal und erfreute sich regen Zulaufs. In der 16. Versammlung 1846 wurde berichtet, dass im ersten Vierteljahr 300 Mitglieder begrüßt werden konnten.

Ein solcher Verein wurde von den Erbgesessenenen als Gefahr betrachtet. Man behauptete „Feindschaft“ zu den Grundeigentümern, „Geldschneiderei“ wegen der Beiträge und gefährlichen „Kommunismus“. Die Vereinsaktivitäten widerlegten dies, allerdings kam es im Vereinsvorstand zu unüberbrückbaren Differenzen. Gallois und seine Freunde zogen die Konsequenz im „Tagwächter“ für den 10. August 1846 zu einer Deliberationsversammlung einzuladen, um den Verein aufzulösen. Gleichzeitig wurde am 24. August 1846 der Hamburger Bürgerverein konstituiert. Der Verein der Nichtgrundeigentümer lebt noch fort, er wird zuletzt am 9. November 1846 erwähnt.

Der neue Hamburger Bürgerverein erhielt eine Satzung mit umfassendem Zweck, nun wird die politische Gleichberechtigung aller Hamburger Bürger ausdrückliches Ziel, auch der Zugang zu allen Staatsämtern und größtmögliche Pressefreiheit. Nun durften auch Grundeigentümer Mitglied werden, allerdings keine Beamten. (Wer Beamter war oder wurde, musste sogar austreten.) Versammlungen fanden wöchentlich im Schneideramtshaus am Pferdemarkt statt. Publikationsorgan sollte das „Hamburger Bürgerblatt“ werden, das dann ab 17. Januar 1847 jeden Sonntag erschien. Erste Diskussionsthemen waren die Schulfrage (Errichtung einer Bürgerschule), das Armenwesen und die Besteuerung von Brot. Zu Weihnachten wurde eine Gewerbeausstellung geplant.

Der Festsaal des Schneideramtshauses am Pferdemarkt, Versammlunglokal des Bürgervereins, Holzschnitt

1848 änderte man die Satzung dahingehend, dass jeder unbescholtene volljährige Staatsangehörige Hamburgs Mitglied werden konnte, nun also auch Beamte. 1949 war die angestrebte bürgerliche Mitbestimmung bereits soweit gediehen, dass der Hamburger Bürgerverein seine Satzung in den politischen Absichten reduzieren konnte.

Unter der Führung von Dr. Gallois, des Schriftstellers B. Heitmann und Loewe wurde der Hamburger Bürgerverein maßgeblich bei der Gründung des Zentralkommitees der demokratischen Vereine, der Durchführung der Tonhallenversammlungen und der Begründung der Konstituante, die schließlich in die Verfassungsreform und die Bürgerschaftswahl von 1859 mündete. Diese Geschehnisse erhalten hier ein eigenes Kapitel.

Der Hamburger Bürgerverein bestand noch bis Ende 1852.


Autor: Michael Weidmann