Achtes Kapitel: Vor dem Dammtor

Dort, wo es „scheun greun but’n Dammdoor“ war trafen sich am 10. Februar 1848 auf Einladung des Herrn Carl Tiecke im Lokal des Landvogtes Hartmann am „rothen Baum“ mehrere vor dem Dammtor wohnende Bürger und beschlossen die Gründung eines Bürgervereins. Nach den erhaltenen Protokollen sollte dieser zunächst „Concordia“ heißen, nach Diskussion wählte man dann jedoch den Namen „Bürgerverein außerhalb Dammthors“.

Landhäuser bei Harvestehude an der Alster 1857, Wilhelm Heuer

Das Vereinsgebiet reichte von der Alster bis zur Sternschanze, vom Dammtor an der Stelle des heutigen Stephansplatzes über das brachliegende Vorstandgelände nach Norden. Hier entwickelten sich die heutigen Stadtteile Harvestehude (benannt nach dem ehemaligen Kloster) und Rotherbaum (benannt nach dem roten Schlagbaum einer Zollschranke). „Pöseldorf“ war lediglich ein Ulkname.

Alster-Glacis (vor dm Dammthore) 1861, Wilhelm Heuer

Anders als in St. Pauli und Bergedorf standen nicht einheitliche politische Ansichten im Vordergrund dieses Zusammenschlusses, sondern „das wahre Wohl, das Nützliche der Umgegend, die Verhütung von Verarmung, die Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse und die Vereinigung zu geselligen, rein sittlichen Vergnügungen und Erholungen“. Die „Verhütung der Verarmung“ betraf die Besiedelung dieser brachliegenden Gegend durch diejenigen Hamburger, die beim Großen Brand 1842 obdachlos geworden waren.

Dammthor, Esplanade und Vorstadt St. Georg um 1835, Steindruck von Nestler & Melle

Besonders hübsch ist die Vereinsregel, nach der Zuspätkommen und Früherkommen bei den Versammlungen bestraft wurden. Ebenso musste Strafe gezahlt werden, wenn man in ein Vereinsamt gewählt wurde und diese Wahl nicht annahm.

Bildunterschrift: Aussicht vom Wall auf Dammtor und Esplanade 1830, Peter Suhr

Trotz seiner erklärten politischen Abstinenz nahm der neue Bürgerverein an den Ereignissen des Jahres 1848 regen Anteil und verabschiedete eine Adresse, mit der man Stimmrecht und Repräsentation in Rat und Bürgerschaft verlangte. Dann allerdings wurde man vorsichtig, um nicht polizeilich überwacht zu werden, und beschränkte sich auf regionale Fragen.

Das Landhaus von Th. Dill um 1860 (heute Grindelhof), Wilhelm Heuer

Hierunter war der Wunsch nach Einrichtung einer Apotheke in der Gegend vor dem Dammtor, der auf Umwegen 1850 realisiert werden konnte. Weiterhin bekümmerte man sich um die bessere Herrichtung und Beleuchtung der Wege in der Grindelgegend. 1849 eröffnete der Verein eine Warteschule für sechs Kinder in einem gemieteten Haus. Auch die Gründung der „Sparcasse vor dem Dammtor“ war ein Anliegen des jungen Bürgervereins.

Mit der Wahl zur neuen Bürgerschaft 1859 wurde der Verein wiederum auch politisch aktiv und stellte erfolgreich zwei Kandidaten auf: den Vereinsvorsitzenden Maurermeister Johannes Heinrich Christopher Schacht und den Makler Carl Johann Theodor Röper (siehe dazu das 15. Kapitel).

Erneut machte der Bürgerverein vor dem Dammtor in den 1860er-Jahren von sich reden, weil er sich bemühte die Bedeutung der Gegend aufzuwerten. Man berief eine Bürgerversammlung für die Region einschließlich Eppendorf, Eimsbüttel und Lokstedt ein, forderte die Übernahme der Straßenbeleuchtung und der Nachtwachen durch die Stadt und schließlich das Ausscheiden aus der Landgemeindeordnung und die Bildung einer Vorstadt vor dem Dammtor, gleichberechtigt mit St. Pauli und St. Georg. Auch sorgte der Bürgerverein für eine Sicherheitswache, die das ganze Jahrzehnt bis 1871 Bestand hatte. Eifrig engagierte man sich beim Anschluss an die Stadtwasserkunst, beim Bau der Sielanlagen, der Besprengung der Straßen sowie der Verbesserung des Abfuhrwesens und der Omnibus-Verbindungen.

Den Bürgerverein vor dem Dammtor/Pöseldorf gibt es noch heute. Der zum 125-jährigen Jubiläum 1973 eingeführte und seitdem zweimal jährlich durchgeführte „Flohmarkt am Turmweg“ ist zu einer festen Institution für den Stadtteil Harvestehude/Rotherbaum geworden. Auch das vierteljährliche Erscheinen der „Dammtor-Zeitung“ ist ein sichtbares Zeichen seines Engagements.


Autor: Michael Weidmann, mit Unterstützung von Günther Holst

 

Grußwort zum 150. Vereinsjubiläum in der Dammtor-Zeitung September 1998