Kategorie: Kapitel

Erstes Kapitel: Inhalte und Aufgaben

Wer in Geschichtsbüchern nach dem Begriff „Bürgerverein“ sucht, findet die unterschiedlichsten Interpretationen. Tatsächlich hat dieses Wort im Laufe der Geschichte verschiedenste Inhalte gehabt – so wie heute noch die Schwerpunkte der Betätigung von Verein zu Verein variieren.

Frühester und vornehmster Zweck der Bürgervereine war die „Verbreitung der allgemeinen Bildung“, sowohl auf politischem Gebiet, als auch in den Bereichen der Geselligkeit und des geistigen Lebens. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden unter diesen „Bildungsvereinen“ auch solche, die erklärtermaßen politische Zwecke zu erreichen suchten.

Der MONDSCHEIN-CLUB etwa befasste sich mit den kommunalen Angelegenheiten der Dorfschaft Eimsbüttel. Der Verein tagte immer dann, wenn Mondschein im Kalender verzeichnet war. Die Mondscheinbrüder waren auf das Wohl der engeren Heimat bedacht, waren stets auf Kontaktsuche und sehr aktiv. Als Abzeichen trugen sie einen silbernen Halbmond. In seinen Veröffentlichungen meldete sich der Verein als „Mondschein-Staat“.

Solch politisches Engagement färbte bald auch auf die reinen Bildungsvereine ab. Bewegte Zeiten machten es erforderlich, dass der hansische Ausspruch „Stadtluft macht frei!“ von den Bürgern selbst mit mehr Leben gefüllt wurde. Schwere Zeiten für die Hamburger (Kriege, Epidemien, Brände und andere Katastrophen) zeitigten jeweils spontanes gemeinschaftliches Engagement. Und so wird in dieser Abhandlung auch darzustellen sein, dass sich die GRÜNDUNGSPHASEN der Hamburger Vereine an den Kriegen und Notständen orientierten, bei denen die Mitwirkung der organisierten Gemeinschaften jeweils von herausragender Bedeutung gewesen sind.

Innerhalb kurzer Zeit gab es keine Bürgervereine als reine Bildungsvereine mehr. Die Volksbildung blieb ein Zweig der Betätigung, neben dem das Engagement auf politischem, kommunalem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet gleichbedeutend einherging.

Autor: Michael Weidmann

Zweites Kapitel: Namen und Begriffe

Die ersten wirklich als „Bürgerverein“ firmierenden Vereine entstanden 1833 in Bamberg und 1837 in Lübeck. Zu dieser Zeit bestanden der Hamburger Mondschein-Club und andere schon viele Jahre.

Auch in der weiteren Geschichte musste sich ein Verein nicht „Bürgerverein“ nennen, um eindeutig zu diesen zu gehören. Heute noch gibt es traditionsreiche Vereinsnamen, in denen neben dem Begriff „Bürgerverein“ auch der „Heimatverein“, der „Kommunalverein“, der „Einwohnerverein“ und alle denkbaren Kombinationen dieser Bezeichnungen zu finden sind. Natürlich ist – nur zum Beispiel – auch der „Verein der Hamburger“ ein Bürgerverein im eigentlichen Sinn.

Vielfach kam es in der Geschichte vor, dass sich Bürgervereine miteinander verbanden; so entstanden Vereinsnamen mit mehreren Stadtteilen. Auch gründeten sich zum Teil mehrere Vereine in ein und demselben Stadtteil. Und schließlich wurden sogar außerhamburgische, zumeist politisch gleichgesinnte Vereine etwa in die Zentralverbände aufgenommen.

Abzugrenzen sind die Bürgervereine von solchen Zusammenschlüssen, die zwar kommunale Zwecke verfolgen, dies aber in der Hauptsache zum Wohle eines bestimmten Standes tun (Gewerbevereine, berufsständische und gewerkschaftliche Vereinigungen). Auch die Grundeigentümervereine, mit denen zusammen die Bürgervereine der Stadt Hamburg zur Demokratie verhalfen – wie hier natürlich noch zu lesen sein wird –, sind naturgemäß keine Bürgervereine. Gleichwohl verbindet gerade diese Beiden eine traditionsreiche und enge Beziehung zum Wohle der Stadt.

Bürgervereine sind also ursprünglich Zweckvereinigungen zur Wahrung der politischen, kommunalen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen einer Gemeinde oder eines Bezirks einer Gemeinde. Heute spielen daneben auch kulturelle Angebote und die Pflege der Geschichte und Traditionen durch die Bürgervereine eine wichtige Rolle für die Identifikation der Menschen mit ihrem Stadtteil oder der ganzen Stadt.

 

Autor: Michael Weidmann

Drittes Kapitel: Was ist ein Bürger?

Das hamburgische Bürgerrecht entwickelte sich über Jahrhunderte. 1483 wurde erstmals ein Bürgerrecht festgelegt. Es war Voraussetzung

  • um am politischen Leben teilzunehmen
  • um eine wirtschaftliche Tätigkeit (Beruf) auszuüben
  • um Grundeigentum zu erwerben
  • um einen bürgerlichen Wohnsitz zu gründen und zu heiraten
  • um Mitglied der „Erbgesessenen Bürgerschaft“ zu werden

Die Bedingungen und der Weg zur Erlangung des Bürgerrechts waren umfänglich:

  • mindestens 22 Jahre alt
  • mit einwandfreiem Leumundszeugnis
  • christliche Konfession
  • in Waffen geübt
  • ggf. Verzicht auf Adelsrechte
  • Vorlage des Taufscheines vor dem ältesten Senator der Deputation
  • Zahlung einer Gebühr
  • Eidesformel vor dem Ersten Bürgermeister

Jeder dieser Punkte ist für sich erläuterungsbedürftig, was aber zunächst den Rahmen dieser Darstellung sprengen würde.

Unvermögende Einwohner Hamburgs und Fremde konnten stattdessen gegen Gebühr in die Schutzgemeinschaft aufgenommen werden. Dies ermöglichte ihnen immerhin die Ausübung eines Berufes.

Zur Zeit der Gründung der Bürgervereine Mitte des 19. Jahrhunderts war das Bürgerrecht dreigeteilt:

Der GROSSBÜRGER durfte Handel treiben, offene Läden, Buden und Kellerlager unterhalten, die Große Waage benutzen, ein Konto bei der Hamburger Bank haben und Grundbesitz erwerben.

Der KLEINBÜRGER durfte Kleinhandel oder ein Handwerk betreiben.

Der LANDBÜRGER wohnte im Landgebiet und besaß hier Grundeigentum.

Diese Regelungen galten bis 1870. Danach wurde die Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben oder auf Antrag zuerkannt. Die Verleihung des Bürgerrechts war im Allgemeinen an die fünfjährige Versteuerung eines Einkommens über 1200 Mark geknüpft.

Die verschiedenen Bürgerrechte werden durch die Bürgerbriefe dokumentiert, von denen sich viele erhalten haben.

 

Autor: Michael Weidmann

Viertes Kapitel: Hamburg und St. Pauli in der Gründungszeit der Bürgervereine

Bürgervereine gründeten sich in Hamburg seit 1843. Es macht Sinn sich die damalige Zeit, die politischen Umstände und die Lebensverhältnisse der Menschen vor Augen zu führen.

Richten wir den Blick nach St. Pauli, wo der erste Hamburger Bürgerverein gegründet wurde. St. Pauli war kein gleichberechtigter Teil Hamburgs, sondern Vorstadt unter dem Patronat eines Hamburger Senators („wohlweiser Landherr“). Der gültige Flurname der Gegend lautete „Hamburger Berg“. Aus Sicht der hamburgischen Festungskannoniere war dies militärisches Vorland und hatte freies Schussfeld zu bleiben, weshalb Häusergruppen nur am Elbufer und an der Grenze zu Altona (Nobistor) erlaubt waren.

Anfang des 19. Jahrhunderts war Hamburg von Napoleons Truppen besetzt und St. Pauli war eine französisch verwaltete Kommune. Um freies Schussfeld zu haben, ließen die Franzosen im Westen der Stadt 841 Häuser, 108 Werkstätten und Fabriken und viele Säle und Buden zerstören. Schließlich wurde die gesamte Vorstadt auf französischen Befehl niedergebrannt und sogar der Pesthof evakuiert. Ausführlich ist diese Geschichte dargestellt unter „Hintergründe“: Vertreibt die Franzosen!

Wir wissen, es gelang Bennigsen die Franzosen aus Hamburg zu vertreiben. Napoleon wurde 1815 nach seiner Rückkehr von Elba bei Waterloo von Wellington und Blücher endgültig geschlagen. Die wieder freie Stadt Hamburg atmete auf und regenerierte sich nach der Besatzung – bis 1842 der Hamburger Brand als nächster Schicksalsschlag die Hamburger heimsuchte. Große Teile der Innenstadt zwischen der Deichstraße und „Brandsende“ wurden vollkommen zerstört. Das Alte Rathaus musste gesprengt werden, um das Feuer aufzuhalten. 20.000 Menschen wurden obdachlos. Viele fanden in den Vorstädten wie St. Pauli eine neue Heimat. Die Geschichte des Hamburger Brandes lesen Sie unter „Hintergründe“: Hamburg brennt!

Aussicht von der Elbhöhe (Stintfang) über die Vorstadt St. Pauli und Altona, nach der Natur gezeichnet von C. A. Lill, Stahlstich von Joh. Poppel

Nach der Katastrophe machte sich die gesamte Gesellschaft an den Wiederaufbau. Aber neben den vielen positiven Kräften wurde auch Widerstand und Kritik gegen den obrigkeitlich regierenden Senat laut. Auch die St.-Paulianer wünschten sich ausreichende Wasserleitungen und moderne Feuerspritzen.

Seit 1833 hieß die Gegend um den Hamburgerberg „St. Pauli Vorstadt“. Die dort lebenden „reglementsmäßig erbgesessenen Stadtbürger“ durften an den Sitzungen der Erbgesessenen Bürgerschaft in Hamburg teilnehmen, hatten aber im Übrigen kaum Rechte. Dagegen hatten sie seit 1836 die Pflicht im Bürgermilitär zu dienen, wofür 1837 ein neues (achtes) Bataillon für St. Pauli organisiert wurde. Für St. Pauli wurde nach dem Brand die Grundsteuer weitaus stärker angehoben, als z. B. für die andere Vorstadt St. Georg und die innere Stadt. Und schließlich wurden die St. Paulianer 1838 mit einer Nachtwachensteuer zusätzlich belastet.

In dieser Situation also gründete sich der erste Hamburger Bürgerverein.

 

Autor: Michael Weidmann