Schlagwort: Hamburg

Elftes Kapitel: Cuxhaven

An der Elbmündung, im Ort Cuxhaven im Amt Ritzebüttel, genauer gesagt in der späteren Schultheißenschaft Ritzebüttel und Groden (siehe die Darstellung „Das Hamburger Gebiet und die Umgebung Hamburgs Mitte des 19. Jahrhunderts“), das im Schloß Ritzebüttel von dem Amtmann Senator Dr. E. Sthamer verwaltet wurde, meldeten sich im März 1848 die Bürger zu Wort und schlugen eine Reihe von Veränderungen vor. Dr. E. Sthamer kam diesen zum Teil nach, insbesondere erklärte er am 29. März die Aufhebung der Frondienste und den Verzicht auf den Zehnten. Ihm lag daran Unruhe von seinem Amt abzuwenden. Vielmehr setzte er auf maßvolle Regierung und Verwaltung im väterlich-freundlichen Umgang mit seinen Mitbürgern.

Ratsherren im Jahre 1860, aus einem Gemälde von Chr. E. Magnussen, neunter von links ist Senator Dr. E. Sthamer

Das Schloß Ritzebüttel 1568, Ausschnitt aus der Elbkarte von Melchior Lorichs

Die Bürger des Amtes versammelten sich am 5. April und bildeten eine Sicherheitswache (wie in St. Pauli und Bergedorf). Bald wurde diese „Verein“ genannt, wenig später „Bürgerverein“ und schließlich „Cuxhavener Bürgerverein“. Erster Präses war 1848 J. Dultz, ihm folgte 1949 J. H. E. Thomälen. Die Vereinssitzungen fanden zunächst jeden Mittwoch statt, dann vierzehntägig und schließlich alle vier Wochen. In den ersten Sitzungen verständigte man sich über die Wahlen zum Deutschen Volksparlament in Frankfurt und rief zur Sammlung für die Deutsche Kriegsflotte auf. In einer Versammlung kam man auf die Idee, anstatt die gesammelten Gelder nach Hamburg abzuführen, lieber ein eigenes Kriegsfahrzeug bauen zu lassen, wie es auch in St. Pauli der Fall war. Schließlich vereinigte man die Sammlungen allerdings doch mit den hamburgischen.

Ansicht des Leucht Thurms zu Cuxhaven so wie des Amts Ritzebüttel, Kupferstich von Johann Marcus David um 1805

Cuxhaven um 1860, Lithographie von Charles Fuchs

Der Cuxhavener Bürgerverein feierte die Eröffnung des Frankfurter Parlaments und diskutierte die Aufteilung des Amtes in Schultheißenschaften und die Vorteile der dortigen Häfen im beabsichtigten allgemeinen deutschen Zollsystem. Dann nahten die Wahlen zur Konstituante und der Bürgerverein stellte Dr. Friedrich Theodor Müller als Kandidaten auf, der später auch in die Bürgerschaft gewählt und schließlich Senator wurde. Weiter beteiligte man sich an der Gründung einer Krankenkasse für Arbeiter, diskutierte die Verteidigung des Amtes gegen kriegerische Einfälle und die effektive Straßenbeleuchtung.

Cuxhaven von Norden um 1845-50, gezeichnet von Johann Heinrich Sander, gestochen und gedruckt von Ernst Friedrich Grünewald und William John Cooke

Nach nur reichlich einem Jahr waren die Aktivitäten zu Ende. Die obrigkeitliche Überwachung und Kontrolle führte im Oktober 1849 zur Einstellung der Sitzungen. Dies war auch das Ende des ersten Cuxhavener Bürgervereins.

Die Gemeinden Ritzebüttel und Cuxhaven wurden 1874 zur „Landgemeinde Cuxhaven“. 1907 erhielt die Gemeinde das Stadtrecht. 1937 wurde Cuxhaven Teil Preußens. Die Verwaltung des Hafens blieb für Hamburg.

 

Autor: Michael Weidmann

Zwölftes Kapitel: Der erste innerstädtische Bürgerverein

In der Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, welches der erste politische Verein in unserer Stadt gewesen ist. Beschränkt man sich aber auf die damaligen Stadtgrenzen und lässt man partikularische politische Bestrebungen innerhalb älterer Vereine (wie die vaterstädtische Sektion in der Patriotischen Gesellschaft seit Ende 1847) und berufsständische Vereine (wie den Juristen-Verein aus dem Sommer 1846) außer Acht, so ist jedenfalls der Verein der Nichtgrundeigentümer der älteste und für fast alle Hamburger zugängliche Bürgerverein. Er sollte ein Gegengewicht zu den Grundeigentümern darstellen, die nicht zuletzt die Erbgesessene Bürgerschaft besetzten, und eine politische Gleichstellung herbeiführen.

Dr. Johann Gustav Gallois, der es in seiner Vaterstadt Hamburg bereits als Strafverteidiger zu einigem Ansehen gebracht hatte, verfasste und publizierte am 30. Januar 1846 in der Zeitung „Tagwächter“ die Statuten dieses Vereins, der fünf Tage zuvor in der Poolstraße 11 neben der Judensynagoge gegründet worden war. Der Satzungszweck lautete: „Der Verein soll denjenigen Bürgern, welchen unsere Verfassung die Mitwirkung an der Regierung untersagt, Gelegenheit geben, sich über vaterstädtische Angelegenheiten zu unterrichten, die Fehler unseres Regiments, die Gesetzesübertretungen, sowie die Berechtigungen jedes hamburgischen Bürgers möglichst genau kennen zu lernen, endlich aber auch durch festes Zusammenhalten desto sicherer und zweckmäßiger vorkommenden Falles die Rechte der Bürger auf gesetzmäßigem Wege zu schützen“. Keine Frage, der erste Bürgerverein innerhalb der alten Hamburger Grenzen war geboren.

Mitglied werden konnte jeder Hamburger Bürger, der nicht Grundeigentümer oder Beamter war. Das Vereinsorgan blieb der „Tagwächter“, der seit 1843 wöchentlich in Meyers Zeitungsladen am Neß 1 erschien. Der neue Verein tagte im Apollosaal und erfreute sich regen Zulaufs. In der 16. Versammlung 1846 wurde berichtet, dass im ersten Vierteljahr 300 Mitglieder begrüßt werden konnten.

Ein solcher Verein wurde von den Erbgesessenenen als Gefahr betrachtet. Man behauptete „Feindschaft“ zu den Grundeigentümern, „Geldschneiderei“ wegen der Beiträge und gefährlichen „Kommunismus“. Die Vereinsaktivitäten widerlegten dies, allerdings kam es im Vereinsvorstand zu unüberbrückbaren Differenzen. Gallois und seine Freunde zogen die Konsequenz im „Tagwächter“ für den 10. August 1846 zu einer Deliberationsversammlung einzuladen, um den Verein aufzulösen. Gleichzeitig wurde am 24. August 1846 der Hamburger Bürgerverein konstituiert. Der Verein der Nichtgrundeigentümer lebt noch fort, er wird zuletzt am 9. November 1846 erwähnt.

Der neue Hamburger Bürgerverein erhielt eine Satzung mit umfassendem Zweck, nun wird die politische Gleichberechtigung aller Hamburger Bürger ausdrückliches Ziel, auch der Zugang zu allen Staatsämtern und größtmögliche Pressefreiheit. Nun durften auch Grundeigentümer Mitglied werden, allerdings keine Beamten. (Wer Beamter war oder wurde, musste sogar austreten.) Versammlungen fanden wöchentlich im Schneideramtshaus am Pferdemarkt statt. Publikationsorgan sollte das „Hamburger Bürgerblatt“ werden, das dann ab 17. Januar 1847 jeden Sonntag erschien. Erste Diskussionsthemen waren die Schulfrage (Errichtung einer Bürgerschule), das Armenwesen und die Besteuerung von Brot. Zu Weihnachten wurde eine Gewerbeausstellung geplant.

Der Festsaal des Schneideramtshauses am Pferdemarkt, Versammlunglokal des Bürgervereins, Holzschnitt

1848 änderte man die Satzung dahingehend, dass jeder unbescholtene volljährige Staatsangehörige Hamburgs Mitglied werden konnte, nun also auch Beamte. 1949 war die angestrebte bürgerliche Mitbestimmung bereits soweit gediehen, dass der Hamburger Bürgerverein seine Satzung in den politischen Absichten reduzieren konnte.

Unter der Führung von Dr. Gallois, des Schriftstellers B. Heitmann und Loewe wurde der Hamburger Bürgerverein maßgeblich bei der Gründung des Zentralkommitees der demokratischen Vereine, der Durchführung der Tonhallenversammlungen und der Begründung der Konstituante, die schließlich in die Verfassungsreform und die Bürgerschaftswahl von 1859 mündete. Diese Geschehnisse erhalten hier ein eigenes Kapitel.

Der Hamburger Bürgerverein bestand noch bis Ende 1852.


Autor: Michael Weidmann

Fünftes Kapitel: Die erste Gründungsphase ab 1843

Am 8. März 1843 gründete sich der erste Hamburger Bürgerverein in der Vorstadt St. Pauli. Es spricht für den Willen der Menschen in Hamburg gleichberechtigt behandelt zu werden und an den Segnungen der wachsenden Stadt teilzuhaben, dass sich auch die folgenden Bürgervereine rund um die eigentliche Stadt herum konstituierten:

08.03.1843 in St. Pauli (Vorstadt Hamburgs)
1846 in Altona (Dänemark)
07.10.1847 in Bergedorf (sog. Städtchen unter der Verwaltung von Hamburg und Lübeck)
10.02.1848 vor dem Dammtor (Hamburger Vorland)
April 1848 in Wandsbeck (Dänemark)
01.06.1848 in Altona (Dänemark)
1848 in Cuxhaven (hamburgischer Außenposten)
1848 in Barmbeck (Dorf)
1848 in Hohenfelde (Dorf)
1849 in Hamm (Dorf)
1849 in St. Georg (Vorstadt Hamburgs)
1852 in Hohenfelde (Dorf)
20.08.1859 in Barmbeck (Dorf)

In der inneren Stadt gründeten sich am 25.01.1846 der Verein der Nichtgrundeigentümer und am 24.08.1846 der Hamburger Bürgerverein.

Darstellungen der einzelnen Bürgervereine finden sich in den folgenden Kapiteln. Zunächst aber sollen hier Gemeinsamkeiten aufgezeigt und die Bedeutung der Bürgervereine für die Stadt Hamburg dargestellt werden.

In den Vereinszielen finden sich zur Zeit dieser Vereinsgründungen:

  • sich von Communal- und allen das Wohl und Wehe der Stadt betreffenden Vorkommnissen zu unterrichten und selbige zur Sprache zu bringen
  • Besprechung und gemeinschaftliche Berathung öffentlicher, communaler und vaterstädtischer Angelegenheiten
  • Förderung und Vertretung örtlicher und gesellschaftlicher Interessen
  • Wahrung und Förderung des Gemeinwohls
  • bestehenden Mängeln abzuhelfen
  • nützliche und wohlthätige Einrichtungen zu fördern
  • gemeinnützige Kenntnisse zu erwerben und mitzutheilen
  • gesellschaftliche Zusammenkünfte und Unterhaltungen
  • freundschaftliche Annäherung unter den Mitgliedernu.a.m.

Einige Bürgervereine unterhielten Bibliotheken (St. Pauli 7000 Bände, Barmbeck 5000 Bände, Altona „nicht unbedeutend“) zur unentgeltlichen Benutzung durch die Mitglieder und veranstalteten neben den vielfältigen Diskussionsveranstaltungen auch regelmäßige Leseabende.

Wohl aufgrund schlechter Erfahrungen prüften einige Bürgervereine vor der Aufnahme von Mitgliedern umständlich deren Unbescholtenheit und in Barmbeck verpflichtete man sich auf religiöse Debatten zu verzichten.

Im Revolutionsjahr 1848 zog eine Bürger-Abordnung ins Hamburger Rathaus und forderte vom Senat „Wi wüllt ok en Republik hebben!“ Der Bürgermeister antwortete: „Wat snackt ji, Lüüd, wi hebbt jo all en Republik.“ Darauf die Bürger energisch „Den wüllt wi noch een hebben!“

Diese Anekdote mag zeigen, dass die Zeit der Erbgesessenen Bürgerschaft ihrem Ende entgegen ging. Aktive aus den Bürgervereinen und ähnlichen organisierten Gemeinschaften begründeten 1848 die Constituante, die demokratische verfassungsgebende Versammlung, „unabhängig von Rath- und Bürgerschaft, und frei zu erwählen durch Stimmenmehrheit sämmtlicher mündigen Staatsangehörigen unserer Republik“.

1859 entstand auf diesem Wege die erste frei gewählte Hamburgische Bürgerschaft, die hier natürlich ebenfalls ihr eigenes Kapitel verdient.

 

Autor: Michael Weidmann

Sechstes Kapitel: St. Pauli

Zwölf Herren trafen sich am 8. März 1843 im Landhaus an der Heerstraße und gründeten den St. Pauli Bürgerverein. Der 33-jährige Kaufmann Matthias Mahlandt wurde der erste Präses.

Da alle Protokolle dieser Zeit erhalten sind, lassen sich die ersten Beratungsgegenstände berichten:

  • eine zeitgemäße Verbesserung des Vormundschaftswesens in St. Pauli
  • die schlechte Beleuchtung der Gegend vor dem Millerntor und Dammtor
  • die Anlegung eines neuen Tores zwischen diesen beiden Stadtzugängen
  • die Verbesserung des Grenzgrabens zwischen Altona und St. Pauli
  • die Beratung von Suppliken betreffs des Baugesetzes und der Grundsteuer

Vergnügungen in der Vorstadt St. Pauli um 1832, Bildnis von Peter Suhr

Der junge Verein hatte Probleme mit der geringen Beteiligung seiner Mitglieder. So musste die „Vereinsdirektion“ die Mitglieder immer wieder ermahnen von der Schweigsamkeit Abstand zu nehmen. Versammlungen waren ungenügend besucht und mussten zum Teil ausfallen. Wahrscheinlich war bürgerliche Mitwirkung gewöhnungsbedürftig. Auch in den Ämtern des Vereinsvorstandes gab es ständige Veränderungen, in den ersten 15 Jahren des Vereinsbestehens gab es 13 Präsides.

Doch bald besserte sich diese Einstellung, die Mitgliederzahl stieg bis Ende 1848 auf 162 und der Verein begann eine vielfältige Beteiligung an kommunalen Fragen. Er unterstützte die gerade errichtete Warteschule und beteiligte sich insbesondere an der Verwaltung, beschäftigte sich mit dem Armenwesen, der Anstellung eines zweiten Predigers, Verbesserungen bei der Grundsteuer und der Verbesserung der Wege vor den Toren. Mit einer Schillingsammlung unterstützte er den Turmbau von St. Nikolai.

Und schließlich brachte das Jahr 1848 die Chance, sich am Aufbau der deutschen Flotte zu beteiligen, um Deutschland gegen Dänemark zu verteidigen. 600 Mark Courant gab die Vereinskasse, Sammlungen erbrachten die insgesamt nötigen 12000 Mark Courant – und nach nur wenigen Wochen hatte der Schiffsbauer Marbs am Pinnasberg „in fliegender Hast“ ein Kanonenboot mit 32 Riemen und zwei Geschützen fertiggestellt. Unter der Führung von Kapitän Sohst ruderten 60 St. Paulianer nach Hamburg und Altona, um es den verbündeten englischen und holländischen Schiffen zu präsentieren.

Das Kanonenboot „St. Pauli“. Holzschnitt in der Zeitschrift „Reform“ 1848

Das Kanonenboot „St. Pauli“. Modell im Museum für Hamburgische Geschichte

In der Vorstadt St. Pauli stellte sich beispielgebend unter Beweis, dass bürgerliche Mitverantwortung praktisches Engagement bedeutet.

Der Spielbudenplatz auf St. Pauli um 1850, Stahlstich von Heinrich Jessen

Matthias Mahlandt blieb nicht die einzige Persönlichkeit, die aus St. Pauli für ganz Hamburg Zeichen setzte. Über ihn und seine Vereinskollegen Billerbeck, Dr. Versmann, Scholvin, Schröder und Rüter lesen Sie im 15. Kapitel unserer Dokumentation. Dr. Versmann ist so bedeutend, dass er ein eigenes Kapitel verdient. Und Präses Mahlandt schließlich findet noch einmal in der Darstellung des Hamburger Bürgermilitärs Erwähnung.

Den St. Pauli Bürgerverein gibt es noch heute. Allerdings ging mit dem plötzlichen Tod des umtriebigen und allseits präsenten „Vereins-Entertainers“ Harry H. Oest 1997 langsam auch die vorbildlich-aktive Zeit dieses Bürgervereins zu Ende. Das Andenken an Harry H. Oest hat in dieser Dokumentation ein eigenes Kapitel.

 

Autor: Michael Weidmann

Ein sehr seltenes Motiv ist dieses Gemälde von A. Köster, das die erste deutsche Flotte anno 1848 zeigt. Für eigentliche Kriegsschiffe reichte das Geld nicht, so dass unter fachmännischer Leitung und Führung einige Kauffahrer gekauft und ausgerüstet wurden.

Von links nach rechts sind unter Dampf und Segeln zu sehen: der Dampfer Hamburg, die Corvette Franklin, der Dampfer Lübeck, die Fregatte Deutschland und der Dampfer Bremen. Im Vordergrund rudert wie wild das Kanonenboot St. Pauli.

Siebtes Kapitel: Bergedorf

Wie bereits beschrieben, war Bergedorf Mitte des 19. Jahrhunderts ein „Städtchen“ (das war die offizielle Bezeichnung), deren Verwaltung sich Hamburg und Lübeck teilten, bis Hamburg 1867 den lübschen Anteil mit allen landeshoheitlichen Rechten und Pflichten erwarb. Etwas mehr als 2000 Menschen lebten und arbeiteten um das Schloss herum, angebunden war Bergedorf mit der Bahn an Hamburg und Berlin.

Das Bergedorfer Schloss im Jahre 1844, Carl Martin Laeisz, Stahlstich von Jens Gray

Auf Initiative des Arztes Dr. Johann Heinrich Nölting trafen sich am 7. Oktober 1847 einige „ehrenwerte und geachtete Männer aus allen Berufen“, und konstituierten eine Woche später den Bergedorfer Bürgerverein mit 58 Gründungsmitgliedern. Erster Präses wurde Christoph Marquard Edd. Vereinszweck war zunächst „die Beförderung eines freisinnigen Bürgerthums“, das Wort „freisinnig“ wurde später gestrichen.

Wie schon der MONDSCHEIN-CLUB (siehe erstes Kapitel) traf man sich zunächst alle vier Wochen mittwochs zur Zeit des Mondscheins, damit alle Teilnehmer gut nach Hause kamen. Straßenlaternen gab es in Bergedorf noch nicht. „Freundschaftliche Besprechungen, Lektüre, Vorlesungen, Schach-, Domino-, Dame- und Kartenspiel, Gesang und dergleichen“ machten den Bürgerverein zum Anziehungspunkt für Geselligkeit in der Ortschaft.

Die Stiftung und Förderung gemeinnütziger Anstalten war erklärtes Ziel, und so war es wenige Tage nach der Vereinsgründung wiederum Dr. Nölting, der die Errichtung einer Sparkasse vorschlug. Es dauerte zunächst fast ein Jahr, bis die Zustimmungen aus Lübeck und Hamburg vorlagen, aber schließlich begann am 3. August 1850 der Geschäftsbetrieb der Sparkasse. Nach 25 Jahren Unabhängigkeit ging sie 1874 in den Besitz der „Stadt Bergedorf“ über und wurde als „Städtische Sparkasse Bergedorf“ schließlich 1937 mit der „Hamburger Neuen Sparcasse von 1864“ vereinigt.

Hamburg-Bergedorfer-Eisenbahnhof um 1843, Wilhelm Heuer

Dr. Nölting machte erneut von sich reden, als er im Februar 1848 die Gründung eines Schützenvereins initiierte. Der Bürgerverein beteiligte sich am Aufbau einer Bergedorfer Bürgerwehr und stellte aus seinen Reihen den Hauptmann Dr. Bülow. Weiterhin beteiligte er sich maßgeblich am Aufbau demokratischer Strukturen in Bergedorf, förderte den Aufbau einer Bibliothek und unterstützte den Bau einer Bahn nach Geesthacht und Zollenspieker.

1891 stiftete der Bergedorfer Bürgerverein ein Denkmal für Kaiser Wilhelm I. Im folgenden Jahr legte er den Grundstock für eine Heimatsammlung, die 1953 in das Eigentum des Staates überging und danach als „Museum für Bergedorf und die Vierlande, Außendienststelle des Museums für hamburgische Geschichte“ weitergeführt wurde.

Den Bergedorfer Bürgerverein gibt es noch heute. Allerdings dokumentiert die Vereinshomepage aktuell nur noch wenige (fast ausschließlich gesellige) Aktivitäten. Die Heimatsammlung bildete offenbar die Basis für diverse Zusammenstellungen im Internet und in gedruckter Form.

Mit dem Vereinsvorsitz von Christa Timmermann geht dieses 170 Jahre alte, wertvolle Engagement demnächst zuende. Zum 31. Dezember 2017 ist die Vereinsauflösung beschlossen, obwohl zuletzt 220 Mitglieder zu verzeichnen waren.

 

Autor: Michael Weidmann

Achtes Kapitel: Vor dem Dammtor

Dort, wo es „scheun greun but’n Dammdoor“ war trafen sich am 10. Februar 1848 auf Einladung des Herrn Carl Tiecke im Lokal des Landvogtes Hartmann am „rothen Baum“ mehrere vor dem Dammtor wohnende Bürger und beschlossen die Gründung eines Bürgervereins. Nach den erhaltenen Protokollen sollte dieser zunächst „Concordia“ heißen, nach Diskussion wählte man dann jedoch den Namen „Bürgerverein außerhalb Dammthors“.

Landhäuser bei Harvestehude an der Alster 1857, Wilhelm Heuer

Das Vereinsgebiet reichte von der Alster bis zur Sternschanze, vom Dammtor an der Stelle des heutigen Stephansplatzes über das brachliegende Vorstandgelände nach Norden. Hier entwickelten sich die heutigen Stadtteile Harvestehude (benannt nach dem ehemaligen Kloster) und Rotherbaum (benannt nach dem roten Schlagbaum einer Zollschranke). „Pöseldorf“ war lediglich ein Ulkname.

Alster-Glacis (vor dm Dammthore) 1861, Wilhelm Heuer

Anders als in St. Pauli und Bergedorf standen nicht einheitliche politische Ansichten im Vordergrund dieses Zusammenschlusses, sondern „das wahre Wohl, das Nützliche der Umgegend, die Verhütung von Verarmung, die Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse und die Vereinigung zu geselligen, rein sittlichen Vergnügungen und Erholungen“. Die „Verhütung der Verarmung“ betraf die Besiedelung dieser brachliegenden Gegend durch diejenigen Hamburger, die beim Großen Brand 1842 obdachlos geworden waren.

Dammthor, Esplanade und Vorstadt St. Georg um 1835, Steindruck von Nestler & Melle

Besonders hübsch ist die Vereinsregel, nach der Zuspätkommen und Früherkommen bei den Versammlungen bestraft wurden. Ebenso musste Strafe gezahlt werden, wenn man in ein Vereinsamt gewählt wurde und diese Wahl nicht annahm.

Bildunterschrift: Aussicht vom Wall auf Dammtor und Esplanade 1830, Peter Suhr

Trotz seiner erklärten politischen Abstinenz nahm der neue Bürgerverein an den Ereignissen des Jahres 1848 regen Anteil und verabschiedete eine Adresse, mit der man Stimmrecht und Repräsentation in Rat und Bürgerschaft verlangte. Dann allerdings wurde man vorsichtig, um nicht polizeilich überwacht zu werden, und beschränkte sich auf regionale Fragen.

Das Landhaus von Th. Dill um 1860 (heute Grindelhof), Wilhelm Heuer

Hierunter war der Wunsch nach Einrichtung einer Apotheke in der Gegend vor dem Dammtor, der auf Umwegen 1850 realisiert werden konnte. Weiterhin bekümmerte man sich um die bessere Herrichtung und Beleuchtung der Wege in der Grindelgegend. 1849 eröffnete der Verein eine Warteschule für sechs Kinder in einem gemieteten Haus. Auch die Gründung der „Sparcasse vor dem Dammtor“ war ein Anliegen des jungen Bürgervereins.

Mit der Wahl zur neuen Bürgerschaft 1859 wurde der Verein wiederum auch politisch aktiv und stellte erfolgreich zwei Kandidaten auf: den Vereinsvorsitzenden Maurermeister Johannes Heinrich Christopher Schacht und den Makler Carl Johann Theodor Röper (siehe dazu das 15. Kapitel).

Erneut machte der Bürgerverein vor dem Dammtor in den 1860er-Jahren von sich reden, weil er sich bemühte die Bedeutung der Gegend aufzuwerten. Man berief eine Bürgerversammlung für die Region einschließlich Eppendorf, Eimsbüttel und Lokstedt ein, forderte die Übernahme der Straßenbeleuchtung und der Nachtwachen durch die Stadt und schließlich das Ausscheiden aus der Landgemeindeordnung und die Bildung einer Vorstadt vor dem Dammtor, gleichberechtigt mit St. Pauli und St. Georg. Auch sorgte der Bürgerverein für eine Sicherheitswache, die das ganze Jahrzehnt bis 1871 Bestand hatte. Eifrig engagierte man sich beim Anschluss an die Stadtwasserkunst, beim Bau der Sielanlagen, der Besprengung der Straßen sowie der Verbesserung des Abfuhrwesens und der Omnibus-Verbindungen.

Den Bürgerverein vor dem Dammtor/Pöseldorf gibt es noch heute. Der zum 125-jährigen Jubiläum 1973 eingeführte und seitdem zweimal jährlich durchgeführte „Flohmarkt am Turmweg“ ist zu einer festen Institution für den Stadtteil Harvestehude/Rotherbaum geworden. Auch das vierteljährliche Erscheinen der „Dammtor-Zeitung“ ist ein sichtbares Zeichen seines Engagements.


Autor: Michael Weidmann, mit Unterstützung von Günther Holst

 

Grußwort zum 150. Vereinsjubiläum in der Dammtor-Zeitung September 1998

Erstes Kapitel: Inhalte und Aufgaben

Wer in Geschichtsbüchern nach dem Begriff „Bürgerverein“ sucht, findet die unterschiedlichsten Interpretationen. Tatsächlich hat dieses Wort im Laufe der Geschichte verschiedenste Inhalte gehabt – so wie heute noch die Schwerpunkte der Betätigung von Verein zu Verein variieren.

Frühester und vornehmster Zweck der Bürgervereine war die „Verbreitung der allgemeinen Bildung“, sowohl auf politischem Gebiet, als auch in den Bereichen der Geselligkeit und des geistigen Lebens. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden unter diesen „Bildungsvereinen“ auch solche, die erklärtermaßen politische Zwecke zu erreichen suchten.

Der MONDSCHEIN-CLUB etwa befasste sich mit den kommunalen Angelegenheiten der Dorfschaft Eimsbüttel. Der Verein tagte immer dann, wenn Mondschein im Kalender verzeichnet war. Die Mondscheinbrüder waren auf das Wohl der engeren Heimat bedacht, waren stets auf Kontaktsuche und sehr aktiv. Als Abzeichen trugen sie einen silbernen Halbmond. In seinen Veröffentlichungen meldete sich der Verein als „Mondschein-Staat“.

Solch politisches Engagement färbte bald auch auf die reinen Bildungsvereine ab. Bewegte Zeiten machten es erforderlich, dass der hansische Ausspruch „Stadtluft macht frei!“ von den Bürgern selbst mit mehr Leben gefüllt wurde. Schwere Zeiten für die Hamburger (Kriege, Epidemien, Brände und andere Katastrophen) zeitigten jeweils spontanes gemeinschaftliches Engagement. Und so wird in dieser Abhandlung auch darzustellen sein, dass sich die GRÜNDUNGSPHASEN der Hamburger Vereine an den Kriegen und Notständen orientierten, bei denen die Mitwirkung der organisierten Gemeinschaften jeweils von herausragender Bedeutung gewesen sind.

Innerhalb kurzer Zeit gab es keine Bürgervereine als reine Bildungsvereine mehr. Die Volksbildung blieb ein Zweig der Betätigung, neben dem das Engagement auf politischem, kommunalem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet gleichbedeutend einherging.

Autor: Michael Weidmann

Zweites Kapitel: Namen und Begriffe

Die ersten wirklich als „Bürgerverein“ firmierenden Vereine entstanden 1833 in Bamberg und 1837 in Lübeck. Zu dieser Zeit bestanden der Hamburger Mondschein-Club und andere schon viele Jahre.

Auch in der weiteren Geschichte musste sich ein Verein nicht „Bürgerverein“ nennen, um eindeutig zu diesen zu gehören. Heute noch gibt es traditionsreiche Vereinsnamen, in denen neben dem Begriff „Bürgerverein“ auch der „Heimatverein“, der „Kommunalverein“, der „Einwohnerverein“ und alle denkbaren Kombinationen dieser Bezeichnungen zu finden sind. Natürlich ist – nur zum Beispiel – auch der „Verein der Hamburger“ ein Bürgerverein im eigentlichen Sinn.

Vielfach kam es in der Geschichte vor, dass sich Bürgervereine miteinander verbanden; so entstanden Vereinsnamen mit mehreren Stadtteilen. Auch gründeten sich zum Teil mehrere Vereine in ein und demselben Stadtteil. Und schließlich wurden sogar außerhamburgische, zumeist politisch gleichgesinnte Vereine etwa in die Zentralverbände aufgenommen.

Abzugrenzen sind die Bürgervereine von solchen Zusammenschlüssen, die zwar kommunale Zwecke verfolgen, dies aber in der Hauptsache zum Wohle eines bestimmten Standes tun (Gewerbevereine, berufsständische und gewerkschaftliche Vereinigungen). Auch die Grundeigentümervereine, mit denen zusammen die Bürgervereine der Stadt Hamburg zur Demokratie verhalfen – wie hier natürlich noch zu lesen sein wird –, sind naturgemäß keine Bürgervereine. Gleichwohl verbindet gerade diese Beiden eine traditionsreiche und enge Beziehung zum Wohle der Stadt.

Bürgervereine sind also ursprünglich Zweckvereinigungen zur Wahrung der politischen, kommunalen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen einer Gemeinde oder eines Bezirks einer Gemeinde. Heute spielen daneben auch kulturelle Angebote und die Pflege der Geschichte und Traditionen durch die Bürgervereine eine wichtige Rolle für die Identifikation der Menschen mit ihrem Stadtteil oder der ganzen Stadt.

 

Autor: Michael Weidmann

Drittes Kapitel: Was ist ein Bürger?

Das hamburgische Bürgerrecht entwickelte sich über Jahrhunderte. 1483 wurde erstmals ein Bürgerrecht festgelegt. Es war Voraussetzung

  • um am politischen Leben teilzunehmen
  • um eine wirtschaftliche Tätigkeit (Beruf) auszuüben
  • um Grundeigentum zu erwerben
  • um einen bürgerlichen Wohnsitz zu gründen und zu heiraten
  • um Mitglied der „Erbgesessenen Bürgerschaft“ zu werden

Die Bedingungen und der Weg zur Erlangung des Bürgerrechts waren umfänglich:

  • mindestens 22 Jahre alt
  • mit einwandfreiem Leumundszeugnis
  • christliche Konfession
  • in Waffen geübt
  • ggf. Verzicht auf Adelsrechte
  • Vorlage des Taufscheines vor dem ältesten Senator der Deputation
  • Zahlung einer Gebühr
  • Eidesformel vor dem Ersten Bürgermeister

Jeder dieser Punkte ist für sich erläuterungsbedürftig, was aber zunächst den Rahmen dieser Darstellung sprengen würde.

Unvermögende Einwohner Hamburgs und Fremde konnten stattdessen gegen Gebühr in die Schutzgemeinschaft aufgenommen werden. Dies ermöglichte ihnen immerhin die Ausübung eines Berufes.

Zur Zeit der Gründung der Bürgervereine Mitte des 19. Jahrhunderts war das Bürgerrecht dreigeteilt:

Der GROSSBÜRGER durfte Handel treiben, offene Läden, Buden und Kellerlager unterhalten, die Große Waage benutzen, ein Konto bei der Hamburger Bank haben und Grundbesitz erwerben.

Der KLEINBÜRGER durfte Kleinhandel oder ein Handwerk betreiben.

Der LANDBÜRGER wohnte im Landgebiet und besaß hier Grundeigentum.

Diese Regelungen galten bis 1870. Danach wurde die Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben oder auf Antrag zuerkannt. Die Verleihung des Bürgerrechts war im Allgemeinen an die fünfjährige Versteuerung eines Einkommens über 1200 Mark geknüpft.

Die verschiedenen Bürgerrechte werden durch die Bürgerbriefe dokumentiert, von denen sich viele erhalten haben.

 

Autor: Michael Weidmann

Viertes Kapitel: Hamburg und St. Pauli in der Gründungszeit der Bürgervereine

Bürgervereine gründeten sich in Hamburg seit 1843. Es macht Sinn sich die damalige Zeit, die politischen Umstände und die Lebensverhältnisse der Menschen vor Augen zu führen.

Richten wir den Blick nach St. Pauli, wo der erste Hamburger Bürgerverein gegründet wurde. St. Pauli war kein gleichberechtigter Teil Hamburgs, sondern Vorstadt unter dem Patronat eines Hamburger Senators („wohlweiser Landherr“). Der gültige Flurname der Gegend lautete „Hamburger Berg“. Aus Sicht der hamburgischen Festungskannoniere war dies militärisches Vorland und hatte freies Schussfeld zu bleiben, weshalb Häusergruppen nur am Elbufer und an der Grenze zu Altona (Nobistor) erlaubt waren.

Anfang des 19. Jahrhunderts war Hamburg von Napoleons Truppen besetzt und St. Pauli war eine französisch verwaltete Kommune. Um freies Schussfeld zu haben, ließen die Franzosen im Westen der Stadt 841 Häuser, 108 Werkstätten und Fabriken und viele Säle und Buden zerstören. Schließlich wurde die gesamte Vorstadt auf französischen Befehl niedergebrannt und sogar der Pesthof evakuiert. Ausführlich ist diese Geschichte dargestellt unter „Hintergründe“: Vertreibt die Franzosen!

Wir wissen, es gelang Bennigsen die Franzosen aus Hamburg zu vertreiben. Napoleon wurde 1815 nach seiner Rückkehr von Elba bei Waterloo von Wellington und Blücher endgültig geschlagen. Die wieder freie Stadt Hamburg atmete auf und regenerierte sich nach der Besatzung – bis 1842 der Hamburger Brand als nächster Schicksalsschlag die Hamburger heimsuchte. Große Teile der Innenstadt zwischen der Deichstraße und „Brandsende“ wurden vollkommen zerstört. Das Alte Rathaus musste gesprengt werden, um das Feuer aufzuhalten. 20.000 Menschen wurden obdachlos. Viele fanden in den Vorstädten wie St. Pauli eine neue Heimat. Die Geschichte des Hamburger Brandes lesen Sie unter „Hintergründe“: Hamburg brennt!

Aussicht von der Elbhöhe (Stintfang) über die Vorstadt St. Pauli und Altona, nach der Natur gezeichnet von C. A. Lill, Stahlstich von Joh. Poppel

Nach der Katastrophe machte sich die gesamte Gesellschaft an den Wiederaufbau. Aber neben den vielen positiven Kräften wurde auch Widerstand und Kritik gegen den obrigkeitlich regierenden Senat laut. Auch die St.-Paulianer wünschten sich ausreichende Wasserleitungen und moderne Feuerspritzen.

Seit 1833 hieß die Gegend um den Hamburgerberg „St. Pauli Vorstadt“. Die dort lebenden „reglementsmäßig erbgesessenen Stadtbürger“ durften an den Sitzungen der Erbgesessenen Bürgerschaft in Hamburg teilnehmen, hatten aber im Übrigen kaum Rechte. Dagegen hatten sie seit 1836 die Pflicht im Bürgermilitär zu dienen, wofür 1837 ein neues (achtes) Bataillon für St. Pauli organisiert wurde. Für St. Pauli wurde nach dem Brand die Grundsteuer weitaus stärker angehoben, als z. B. für die andere Vorstadt St. Georg und die innere Stadt. Und schließlich wurden die St. Paulianer 1838 mit einer Nachtwachensteuer zusätzlich belastet.

In dieser Situation also gründete sich der erste Hamburger Bürgerverein.

 

Autor: Michael Weidmann