Vorgeschichte: Vertreibt die Franzosen!

Napoleon Bonaparte war einer der größten Desponten in der Geschichte Europas, das er „seine Hure“ nannte. Sein größenwahnsinniger Weg zum „Weltdiktator“ kostete in 20 Jahren 3,5 Millionen Menschen das Leben. Auch Hamburg und die Hamburger wurden Opfer seines Machtstrebens, mit dem er nicht zuletzt den Grundstein des europäischen Militarismus legte.

Hamburger Carricatur – Napoleon lässt sich den Trähnenbecher einschenken und erlabt sich am Jammer der Unglücklichen

Napoleon im März 1812, Zeichnung in der Hofkapelle von Girodet

Noch Anfang 1796 hatte Hamburg durch Entsendung des in Frankreich geschätzten Georg Heinrich Sieveking nach Paris gegen erhebliche Geldzahlungen Hamburgs Neutralität, die Aufhebung eine Embargos gegen Hamburgs Schiffe und und die Rück-Entsendung des französischen Gesandten Karl Reinhard erreicht. Damals wollte man sich die Wirtschaftsmacht der hamburgischen Kaufmannschaft nicht zum Feind machen und nahm gern das Geld zur Finanzierung der bankrotten französischen Republik. 1799 zahlte Hamburg erneut 6 Millionen Livres an die Franzosen für den Kampf gegen England – und nach dem Streit um einen in Hamburg verhafteten irischen Aufrührer erneut 4 Millionen Livres.

Georg Heinrich Sieveking, Aquatinta von Pierre Michel Alix 1796, Paris

Karikatur auf die ohnmächtigen Versuche Hamburgs, die Achtung seiner Neutralität von Frankreich zu erkaufen, Kupferstich eines unbekannten Künstlers

Die folgende Anlehnung an England nützte Hamburg nichts. Am 29. März 1801 rückten Dänen unter dem Oberbefehl des Prinzen Karl von Hessen Pinneberg in Hamburg ein, mussten aber nach acht Wochen wegen des Drucks Preußens wieder abziehen. Der Reichsdeputations-hauptschluss vom 25. Februar 1803 bestätigte die Neutralität der Hansestadt. Doch der Krieg zwischen Frankreich und England loderte wieder auf und Napoleon ließ im Oktober 1804 mit einem nächtlichen Handstreich den britischen Geschäftsträger in Hamburg entführen. Hamburg verlor seine Bündnisse und auch den Schulterschluss mit den anderen großen Hansestädten. 1806 nämlich wurde die verbündete Hansestadt Lübeck zum Schauplatz des Kampfes von Blücher gegen die Franzosen.

Die Dänen vor Hamburg am 29. März 1801, Kupferstich von Andreas Söttrup

Hamburg wurde am 19. November 1806 vom französischen 8. Armeekorps unter Marschall Edouard Mortier besetzt, eine wehrlose Stadt, weil seit Beschluss der Erbgesessenen Bürgerschaft vom 18. Oktober 1804 der Festungsring abgetragen wurde. In Hamburg waren ganz überwiegend Hilfstruppen der französischen Armee stationiert, zunächst 2.000 italienische Infanteristen und 600 holländische Kavalleristen.

„Kayserlich-Französische Stadt Hamburg“ nannte Johann Marcus David seine Zeichnung von 1811

Hamburg Karte von 1813, Neddermeyer

Holländische Militärmusiker des 7. Linien-Infanterie-Regiments, Christoffer Suhr

Am 4. August 1807 folgte das spanische Armeekorps unter dem Marqués de la Romana, Pedro Caro y Sureda, der im Hotel Kaiserhof am Ness Quartier nahm. Französische Truppen folgten erst später. Die spanischen Truppen wurden am 5. März 1808 bereits nach Dänemark auf die Insel Fünen verlegt. Wenige Monate später befanden sich Frankreich und Spanien im Krieg miteinander. Ein britisches Flottengeschwader brachte die Spanier zurück nach Hause, wo das Korps von den Franzosen fast vollständig vernichtet wurde.

Ein spanischer Soldat vom Regiment Barcelona mit seiner Familie auf dem Marsch, Christoffer Suhr

Ein spanischer Soldat nimmt 1808 Abschied und geht nach Fünen, Christoffer Suhr

Unsere Stadt war seit dem 13. Dezember 1810 Arrondissement des Departements der Elbmündungen (offiziell „Oberems-, Weser- und Elbmündungs-Departement“ mit 1.118.964 deutschen Einwohnern) und seit 1. Januar 1811 eine sogenannte „bonne ville“ des Kaiserreichs Frankreich. Ihr Maire (Bürgermeister) war seit 13. Mai 1811 Amandus Augustus Abendroth, die wirkliche Herrschaft jedoch lag bei der Militärverwaltung unter Marshall Louis Nicolas Davout, Herzog von Auerstedt und Fürst von Eckmühl (beide Titel waren ein Dank Napoleons für seine militärischen Erfolge). Man nannte Davout Napoleons besten Heerführer. Am 9. Februar 1811 traf er in Hamburg ein und nahm an den Großen Bleichen Quartier. Der Senat wurde am 13. Februar aufgelöst, am 24. Februar das Stadtmilitär.

Louis Nicolas Davout, Gemälde von Pierre Gautherot

Amandus Augustus Abendroth, Lithografie von Friedrich Carl Gröger

Zwei Tage nach der Besetzung verhängte Napoleon die Kontinentalsperre gegen England, die auch Hamburg betraf. Sogar der Briefverkehr wurde verboten. Englische Waren wurden beschlagnahmt, zum Teil verbrannt. Die Schifffahrt wurde lahmgelegt, angeblich mehr als 300 Schiffe lagen im Hamburger Hafen fest. Diese Zahl ist nach späterer Forschung nicht richtig, weil Hamburger Kaufleute geschickt Schiffe zu hohen Preisen ins Ausland verkauften oder ihren Handel (auch mit Sklaven) mit ausländischen Schiffen über fremde Häfen abwickelten.

Die Franzosen verbrennen englische Waren am 16. November 1810

Ein englischer Kaper bringt 1812 drei hamburgische Handelsschiffe auf, Aquarell von Schiffszimmermeister H. Bütt

Der Hamburger Correspondent berichtet über britische Greueltaten in Portugal

… und fahndet nach wehrpflichtigen Hamburgern

10.000 Hamburger wurden arbeitslos, weil ohne englische Kohle die Zuckersiedereien nicht mehr arbeiten konnten. 267 Hamburger Kaffeehändler waren ohne Einkommen. Viele Hamburger verdienten ihr Geld trotz drohender Todesstrafe mit dem Schmuggel über kleine Häfen an der holsteinischen Westküste. Am 24. Februar 1813 kam es zum Tumult, weil sich Hamburger der französischen Durchsuchung widersetzten. Französische Douaniers feuerten in die Menge, im Aufruhr wurden einige von ihnen erschlagen oder in den Fleeten ertränkt. Alle französischen Einrichtungen wurde demoliert. Nur mithilfe dänischer Husaren aus Altona gelang dem Stadtkommandanten General Carra St. Cyr die Wiederherstellung der Ruhe.

Die Franzosen auf dem Jungfernstieg 1813, Peter Suhr

Die Kaffeeträger von Altona nach Hamburg, Schmuggler während der Kontinentalsperre

Französische Douaniers, C. Suhr

Am 18. März 1813 (nachdem sich Napoleon aus Russland zurück gezogen hatte und die Russen in Berlin angekommen waren) wurde Hamburg vorübergehend von den russischen Kosaken unter Oberst Karl-Friedrich Baron von Tettenborn „befreit“. Allerdings kam es nicht unmittelbar zu Kämpfen, die Franzosen unter General St. Cyr waren sechs Tage vorher freiwillig abgezogen. Tettenborn hatte sich bis dahin (abgesehen von fraglichen Eilmärchen seiner Truppen) militärisch nicht ausgezeichnet. Fehlender Charakter und fehlende militärischen Fähigkeiten verhinderten, dass er zum Feldherrn wurde. Anstelle kriegerischer Tätigkeit lag er zumeist mit einer „lästigen Rose“ darnieder oder verwendete seine Zeit auf das Gemalt- und Portraitiert werden.

Verantwortlich für die „Befreiung“ war vielmehr eine Selbstorganisation der Hamburger: Im Januar hatten sich unter dem Buchhändler Friedrich Perthes, dem Mediziner Dr. Jonas Ludwig v. Heß, dem Sekretär der ehrb. Oberalten Dr. Ferdinand Beneke und dem Bleidecker David Christoffer Mettlerkamp Freiwillige gesammelt und übten unter Waffen. Seit dem 24. Februar gab es ernste Unruhen, Hamburger gingen den Douaniers zuleibe und stürmten die Wachthäuser, man vertrieb die Franzosen aus öffentlichen Häusern und misshandelte den verhassten Polizeikommissar Mohr und sogar Maire Abendroth. Der Aufruhr war nach wenigen Stunden beendet, aber die Franzosen waren nun erheblich eingeschüchtert. Zunächst flüchteten panikartig französische Zivilisten aus der Stadt, dann zog der alte General St. Cyr mit den Truppen am 12. März freiwillig zum Steinthor hinaus und verlegte befehlsgemäß seine Einheiten auf das linke Elbufer Richtung Bremen. Seine holländischen Seesoldaten bohrten eigenmächtig 20 Kanonenboote an und versenkten sie mit den Kanonen in der Elbe.

Buchhändler Friedrich Perthes, Lithographie von Otto Speckter 1839

Ferdinand Beneke

David Mettlerkamp, Steinzeichnung von H. J. Herterich 1825

Tettenborn schickte einen einzelnen Reiter, um seine Ankunft anzukündigen und die Hamburger aufzufordern sich vom französischen Kaiserreich loszusagen. Er wolle in eine freie Stadt einziehen. Als der Senat dem unter großem Widerstreben nachkam, zog Tettenborn eitel und unter Glockengeläut und Jubel in Hamburg ein. Er blieb zunächst der Bevölkerung gegenüber sprachlos, ging in der Folgezeit sogar dazu über angesehene und unbescholtene Bürger mit bittersten Anzüglichkeiten zu beleidigen und zu kränken. Dann zum General ernannt, erging er sich in Gastmählern und im erneuten Portraitiertwerden.

Portrait des ersten Kosaken, der als Staffette Tettenborns nach Hamburg kam, C. Suhr

Eine Hamburger Mutter bewillkommnet einen Lanzenreiter der russischen Befreiungsarmee 1813, J. J. Faber

Einzug der Kosaken unter Oberst von Tettenborn am 18. März 1813, Peter Suhr

Oberst Tettenborn bei der Parade der Kosaken 1813, Aquarell von P. Suhr

Kosaken auf Wilhelmsburg fangen 1813 einen französischen Spion ab, Aquarell von J. A. Langendijk

Tettenborn als General und Ritter

Tettenborn hatte keine Erfahrung mit der Verteidigung militärischer Plätze, seine Maßnahmen waren weder hinreichend noch nachhaltig. Er schloss sich im Hauptquartier ein und ließ verabredete Kommandozeichen ungenutzt. Stattdessen forderte er durch einen Adjutanten vom Hamburger Senat die Anerkennung seiner Verdienste. Dieser sah sich genötigt ihm die Ehrenbürgerschaft zu verleihen, verbunden mit einem Ehrengeschenk von 5.000 Louisdor. Weitere Einnahmen erzielten Tettenborn und sein Gefolge durch Geldsammlungen bei den Hamburgern zur angeblichen Ausrüstung einer hamburgischen Legion, die von einer „Gotteskasse“ zur „Spiel-, Launen- und Wollustbefriedigungskasse“ zweckentfremdet wurde.

Tettenborns Kosaken auf dem Jungfernstieg, Zeichnung von C. Suhr

Tscherkessen und Baschkiren in Tettenborns Armee, C. Suhr

Tettenborn verfügte über 1.400 Mann und zwei kleine Feldgeschütze, womit er allein die Stadt tatsächlich kaum dauerhaft halten konnte, wenn er es denn versucht hätte. Der Kronprinz von Schweden Jean Baptiste Jules Graf Bernadotte (der zu Beginn der hamburgischen Besetzung als Napoleons Verbündeter und „Fürst von Ponte Corvo“ noch Gouverneur der Hansestädte gewesen war und nun mit Napoleons Gegnern kämpfte) kam nicht wie erwartet zur Unterstützung und noch dazu gingen die bisher verbündeten Dänen zu den Franzosen über. Nach einwöchigem Bombardement zog Tettenborn wie ein Dieb in der Nacht vom 29. auf den 30. Mai aus Hamburg wieder ab, überstürzt, aber mit 94 Wagen persönlichem Gepäck (die seit Wochen abmarschbereit zu stehen hatten). Die Verteidigung der Stadt überließ er feige den Hamburgern. Die Menschen, die sich ihm anvertraut hatten, lieferte er ohne Kapitulationsverhandlungen der Gnade oder Ungnade eines erbitterten Feindes aus. Der Zorn und Schmerz der tapferen Hamburger war groß.

Während der kurzen Zeit der russischen Besetzung waren eine Bürgergarde unter Oberst Jonas Ludwig von Heß (6.000 Mann in 7 Bataillonen) und trotz geringer Mittel eine Hanseatische Legion aufgestellt worden, die Freiwillige aus Hamburg, Bremen und Lübeck vereinigte.
Die Hanseatische Legion verließ Hamburg mit Tettenborn und einem inzwischen eingetroffenen preußischen Bataillon unter Major von Borck und kämpfte ohne nennenswerte Erfolge gegen die Franzosen bei Lübeck, Ratzeburg, Mustin, Mölln, Harburg und Bremen. Am 30. Juni 1814 wurde sie aufgelöst. 175 junge Hamburger hatten in diesem Dienst ihr Leben gelassen.

Unter dem Bataillionskommandanten David Christoffer Mettlerkamp und seinem Generalsadjutanten und Stabsmajor Dr. Ferdinand Beneke hatte auch ein Teil der Bürgergarde die Stadt verlassen. Sie kämpfte mit der russischen Armee rund um Hamburg sehr erfolgreich und Mettlerkamp erlangte bei den Verbündeten großes Ansehen. Die Bürgergarde wurde am 24. Juni in Hamburg auf Mettlerkamps Wunsch durch den Senat aufgelöst.

Am 30. Mai 1813 rückten dann Dänen in die Stadt ein, gefolgt von französischen Einheiten. Marshall Davout baute auf Befehl Napoleons vom 7. Juni 1813 Hamburg zur Festung aus, verstärkte die Festungswälle, ließ in nur 83 Tagen eine hölzerne Brücke über die beiden Hauptarme der Elbe nach Harburg bauen und plünderte das reiche Hamburg und die gesamte Umgebung. Täglich wurden 4.000 Hamburger und 2.000 Arbeiter aus den Vororten für einen Tagelohn von einem Franc zu Schanzarbeiten kommandiert.

Die Dänen vor Hamburg am 29. März 1813, Stöttrapp

Schanzarbeiten am Wall neben dem Brookthor mit Aussicht auf die Elbbrücke, P. Suhr

Französische Gendarmes und Cavallerie, zusammen 1.000 Reiter ziehen über die Elbbrücke 1813, P. Suhr

Südlicher Teil der 15.173 Fuß langen hölzernen Elbbrücke, Aquatinta von Christoffer und Cornelius Suhr

Hamburg hatte eine Kontribution von 48 Millionen Franc zu zahlen und immer wieder wurde auch die Hamburger Bank von den Besatzern ausgeplündert, allein im November 1813 waren das 744.000 Hamburgische Mark banco und alle Silberbarren. Napoleon erklärte die Stadt als außerhalb des Gesetzes stehend. Davout erließ in den folgenden zwölf Monaten 136 Befehle und Verordnungen für die Zivilbevölkerung.

Französischer Befehl zur Einhaltung des Zapfenstreichs, Hamburger Staatsarchiv

Anordnung zu Napoleons Geburtstagsfeier in Hamburg, Hamburger Staatsarchiv.

Am 16. September 1813 unterlagen die Franzosen in der Schlacht an der Görde, was die Franzosen in Hamburg isolierte. Nach der Völkerschlacht von Leipzig am 18. Oktober 1813 hatte sich Davout auf eine Belagerung einzustellen. Er ordnete die Niederbrennung aller Häuser bis eine halbe Meile vor den Wällen an, um freies Schussfeld zu haben (vgl. das Wort „Glacis“ in Alsterglacis, Holstenglacis und Glacischaussee). Nur Barmbeck wurde durch den Kaufmann Gerhard Heinrich v. Essen freigekauft. Es soll Generalfeldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher, Fürst von Wahlstatt, zu verdanken sein, dass Russen wie Franzosen Altona als neutrales Gebiet anerkannten.

Die Franzosen am Jungfernstieg im Winter 1813, P. Suhr

Hamburgs Bürger beobachten vom Jungfernstieg aus das Abbrennen der Gegend vor dem Dammtor, unbekannter Künstler

Der 3. Januar 1814, als die Franzosen den Hamburgerberg abbrannten, vom Wall beim Altonaer Thor gesehen, P. Suhr

Brandstätte des Pest-Hofes vorm Millernthor am 3. Januar 1814, Jess Bundsen

Die Ruinen St. Paulis von Altona gesehen, Jess Bundsen

Weihnachten 1813 ließ Davout bei minus 20 Grad diejenigen Hamburger aus der Stadt treiben, die nicht für sechs Monate ausreichend Proviant hatten. Viele konnten in Altona Unterkunft finden, 3.500 konnten in Altona bleiben, 12.301 wurden versorgt und nach Lübeck, Bremen oder umliegende holsteinische Ortschaften weiter geschickt, 1.200 jedoch starben an Kälte und Unterernährung. In Hamburg grassierte Typhus. Es herrschte Hungersnot, viele Menschen ernährten sich von Katzen, Hunden und Ratten. Zusammenbrechende Pferde wurden gleich auf der Straße zerteilt.

Austreibung der minderbemittelten Bürger Hamburgs durch die Franzosen am 24. Dezember 1813. Stahlstich von Fr. Clemens, 1844

Zu Weihnachten 1813 drängen sich die Mittellosen in der Petrikirche, zusammen getrieben von den französischen Besatzern.

Um Magazine unterzubringen, beschlagnahmte Davout die meisten öffentlichen Gebäude wie die Börse, das Waisenhaus, das Johanniskloster und die Kirchen St. Johannis und St. Gertrud. Aus den Kirchen St. Jacobi, St. Nikolai, St. Katharinen und St. Petri wurden Ställe für 7.500 Pferde. Nur in St. Michaelis fand weiterhin Gottesdienst statt. Die Schäden an den anderen Kirchen waren unersetzlich.

St. Petri im Januar 1814, P. Suhr

Zar Alexander I. Pawlowitsch hatte am 6. Juni 1813 General Levin August Theophil Graf von Bennigsen (bekannt als militärischer Führer der Revolution von 1801) mit der Bildung der kaiserlich russischen Armee von Polen und mit der Belagerung von Dresden, Wittenberg, Torgau und Magdeburg beauftragt. Am 26. November 1813 erhielt er den Auftrag gemeinsam mit Bernadotte gegen Davout und die Dänen zu operieren. Er erreichte am 21. Dezember Bergedorf und schlug im Amtshaus sein Hauptquartier auf. Drei Tage später erschien die übrige russische Armee von Polen und die Kommandeure nahmen im Gutshaus Wellingsbüttel und im Pastorat Bergstedt Quartier.

Levin August Theophil Graf von Bennigsen, Gemälde von Wilhelm Tischbein 1820

Zar Alexander I. von Russland, unbekannter Künstler

Bennigsens 30.000 Mann (überwiegend Kavallerie) konnten Hamburg allerdings nicht angreifen, weil Davout mit Unterstützung der Marschbewohner der Vierlande Hamburgs Umgebung unter Wasser gesetzt hatte. Zudem blieb die schwedische Unterstützung weiterhin aus. So nahm Bennigsen im Kurtzrockschen Schloss zu Pinneberg Quartier und versuchte von Adolf Friedrich Herzog von Cambridge, Generalgouverneur von Hannover, und von Karl Iwanowitsch Graf Oppermann, seinem Generalstabschef, Artillerie zu erhalten, um zunächst Wilhelmsburg, dann Harburg und schließlich Hamburg zu erobern. Sein Ansinnen blieb vergeblich, allerdings erhielt er Truppen unter Peter Alexandrowitsch Graf Tolstoi zur Verstärkung.

Die Bastion Albertus (heute Stintfang) mit Blockhaus, drei Schildwachen, Kanonen, Palisaden und dem Wachschiff beherrscht den Hafeneingang vor der eis- und schneebedeckten Elbe im Winter 1813-14, P. Suhr

Angriffe auf Wilhelmsburg am 2. Februar und am 17. Februar 1814 blieben erfolglos. Nur durch selbst bewaffnete Flussfahrzeuge und Kanonenboote konnte Bennigsen die Belagerung aufrecht erhalten. Zudem übernahm der britische Generalmajor James Lyon mit Truppen aus Hannover und den Hansestädten die Blockierung von Harburg. Zu diesen Truppen gehörte auch die Hamburger Bürgergarde unter Major David Christoffer Mettlerkamp (der später für seine Verdienste zum Oberstleutnant befördert wurde). Davout machte starke Ausfälle.

Am 31. März 1814 rückten die verbündeten europäischen Heere in Paris ein. Napoleon dankte ab und ab 29. April verteidigte Davout Hamburg für König Ludwig XVIII. Trotz der veränderten Verhältnisse widersetzte sich Davout jedoch zunächst der Kapitulation. Er wolle „die Stadt bis aufs Äußerste verteidigen und sich eventuell unter den Trümmern derselben begraben“. Die Russen besetzten daraufhin am 29. April Altona. Am 12. Mai trat Davout das Kommando an General Gerard ab, der dann die Übergabe an die Alliierten vermittelte. Am 28. Mai 1814 wurden die Elbfestungen übergeben und Bennigsen und Mettlerkamp zogen unter unbeschreiblichem Jubel in Hamburg ein. Er nahm im ehemaligen Haus des Senators Günther auf den Großen Bleichen Quartier.

Empfang der russischen Befreiungstruppen unter der Führung des Generals Bennigsen am 31. Mai 1814. Lithographie von Wilhelm Heuer

General von Benningsen beim Einzug in das befreite Hamburg, den 31. Mai 1814, Photo M. Dührkoop

Erst am 31. Mai 1814 verließen die Franzosen unsere Stadt. 25.632 Soldaten, 5.333 Pferde und 90 Kanonen zogen auf dem Landweg ab, 1.000 Militärangestellte wurden mit ihren Familien per Schiff nach Frankreich zurück befördert. Die Hamburger Legion und die Bürgergarde zogen am selben Tag mit 1.178 Mann in Hamburg ein. Hamburgs Verteidigung hatte hatte über 12.000 Soldaten das Leben gekostet (4.600 im Kampf gefallen, 7.799 in Lazaretten gestorben). Der ehemalige Stadtkommandant General Carra St. Cyr hielt am Steintor noch eine Abschiedsrede an die Senatoren. Hamburg war die letzte deutsche Stadt, die von den Franzosen geräumt wurde.

Einzug der Hanseatischen Legion in Hamburg nach der Rückkehr aus dem Befreiungskrieg im Juni 1814, P. Suhr

Die russischen Offiziere Generalleutnant von Tschaplitz und Major Carl von Wedel brachten Hamburgs Stadtschlüssel zum Zaren Alexander I. nach Paris. Von dort kam Befehl, dass Bennigsens Truppen in Hamburg und Holstein verbleiben sollten, was dann noch bis November 1814 der Fall war. Hamburg ehrte den Befreier Bennigsen mit der Ehrenmedaille und mit Gemälden von Tischbein, Suhr und von Seidel.

Auf einem Erinnerungsblatt von 1863 stehen Tettenborn und Bennigsen nebeneinander, Verlag Philip Spiro

Als Napoleon 1815 von Elba zurück kam, wurde Davout sein Kriegsminister während der „100 Tage“. Er ging in die Geschichte ein als überragender Stratege mit unerschütterlicher Kaisertreue. Über Hamburg brachte er großes Leid. Insgesamt 20.000 Hamburger, die sich nicht selbst versorgen konnten, wurden von ihm aus der Stadt getrieben. 1.630 Menschen starben bei den Zwangsevakuierungen. Das Hamburger Umland, Vorstädte und Gartenanlagen, wurden demoliert. Die Hamburger wurden wehrpflichtig und mussten an Napoleons Feldzügen teilnehmen, das so gebildete 127. Linien-Infanterie-Regiment ging fast gänzlich im Russlandfeldzug 1812 zugrunde.

Die Hanseatische Legion war im Juni 1814 aufgelöst, rückte jedoch als „Hanseatische Brigade“ mit 2.930 Mann, zur Hälfte Hamburger, am 12. Juni 1815 noch einmal aus, um mit den verbündeten Heeren gegen Napoleon zu kämpfen. Die Hanseaten kamen allerdings zu spät bei Waterloo an und hatten dort unter britischem Oberbefehl nur noch eine Besatzung um Arras zu stellen. Weil die Hanseaten allerdings lieber tranken und feierten, sich prügelten und die Bevölkerung provozierten, wurden am 22. Oktober erst die 314 Hamburger Jäger und zum Jahresende die übrigen Einheiten wegen Disziplinlosigkeit nach Hause geschickt.

Hamburgs Freiwillige Jäger auf dem Marsch nach Frankreich, S. H. Cornelsen

Die hamburgischen freiwilligen Jäger beim Abmarsch nach Frankreich auf der Fähren der Elbbrücke 1815, Aquarell von Peter Suhr

Die Hamburger Freiwilligen Jäger kehren am 30. November 1815 aus Frankreich zurück, P. Suhr

Rückkehr des Hamburger Contingents 1815 über die von Davout gebaute Brücke, P. Suhr

Frankreich zahlte an die Bank von Hamburg eine Entschädigung von 10 Millionen Franken und weitere 52 Millionen an Hamburgs Bürger. Geld jedoch konnte über die grauenhaften Folgen der Franzosenzeit nicht hinwegtäuschen.

 

Autor: Michael Weidmann